Die Schöpfung ist kein Materiallager

Bischof Gothart Magaard

Naturmaterialien
Von Kutter-Gottesdiensten, Sonnenwachen und umweltbewussten Kirchenliedern – Gespräch mit Bischof Gothart Magaard.

Herr Bischof Magaard, wie würden Sie Ihr Verhältnis zur Natur beschreiben?

Ich bin in Flensburg geboren, in Munkbrarup und Schleswig aufgewachsen, dort war ich der Natur sehr nah. Als Kind bin ich mit auf die Felder gefahren, bin in Knicks herumgestreift, habe im Wald gern Kolkraben beobachtet und die Jahreszeiten intensiv erlebt.

Gab es ein prägendes Erlebnis?

Ich weiß noch genau, dass ich mir für ein Schul-Referat den Rhein aussuchte und mich mit seiner Schönheit und wirtschaftlichen Bedeutung auseinandersetzte, aber auch mit seiner Verschmutzung und deren Folgen. Dabei verstand ich zum ersten Mal, wie nahe Schönheit und Bedrohung liegen. Wie existenziell gefährdet Gottes Schöpfung ist, wurde mir anlässlich der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl 1986 schlagartig klar. Danach war nichts war mehr wie vorher. Meine Frau und ich wollten Anfang Mai heiraten und fragten uns, ob wir verantworten könnten, eine Familie zu gründen. Wir haben es gewagt und heute vier erwachsene Kinder, die, als sie klein waren, zeitweise Waldkindergärten besuchten.

Bischof Gothart Magaard

Seit Mai sind Sie Bischof im Sprengel Schleswig und Holstein, zuständig für über eine Million Christen. Bei Ihrer Vorstellung im Schleswiger St. Petri Dom haben Sie das Bonhoeffer-Wort gewählt: „Beten und Tun des Gerechten“. Beten Sie auch für den Schutz der Schöpfung?

In persönlichen Gebeten versuche ich vor allem, zur Ruhe zu kommen und die Mitte zu finden. In Gottesdiensten bieten die Fürbitten uns Christen die Möglichkeit, uns mit unseren Sorgen an den Schöpfer zu wenden, aber auch, unsere Ehrfurcht, Dankbarkeit und Demut in Worte zu fassen.

Der biblische Auftrag, die Schöpfung zu bewahren, gilt für uns heute mehr denn je.

Die Schönheit von Gottes Schöpfung ist eine zentrale Kategorie für jeden Christen... während das Artensterben besorgniserregend voranschreitet; jede Sekunde verschwindet eine Regenwaldfläche von der Größe eines Fußballfeldes. Was unternimmt die Kirche dagegen, was tut sie für den Klimaschutz und andere ökologische Herausforderungen?

Der biblische Auftrag, die Schöpfung zu bewahren, gilt für uns heute mehr denn je. Natur zu bewahren im Konkreten: Wir haben beispielsweise 2012 ein Klimaschutzkonzept für die Nordkirche beschlossen, das die Universität Flensburg in unserem Auftrag entwickelt hat. Klimaschutz ist ein Leuchtturmprojekt der Nordkirche. Bis 2015 wollen wir die klimaschädigenden Emissionen unserer Kirche um 25 Prozent senken, und im Jahr 2050 möchten wir Co2neutrale Nordkirche werden.

Wie passt das zusammen mit der Aufforderung im 1. Buch Mose 1. 28ff: „Seid fruchtbar... füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer“? Das klingt eher wie „nach uns die Sintflut“...

Sie müssen nur weiterlesen. Im 1. Buch Mose 2.15 heißt es: „Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“ Im Schöpfungslob der Psalmen wird das Verhältnis von Mensch und Natur in vielen Facetten thematisiert, eine Feier der Vielfalt, die es zu bewahren gilt. Nicht das Beherrschen, sondern das Behüten der Umwelt steht im Vordergrund. Es geht um Ehrfurcht, Demut und Einklang, den der Mensch mit der Natur erstreben muss.

In der Natur lernen bereits Kinder zu staunen, Zusammenhänge zu verstehen und zu erkennen, dass die Schöpfung kein Materiallager ist.

Papst Johannes Paul II. hat von „ökologischer Humanität“ gesprochen. Papst Benedikt XVI. formulierte: „Wenn du Frieden willst, bewahre die Schöpfung.“ Ist die Umweltfrage auch Grundelement der evangelischen Soziallehre?

In einer Denkschrift der evangelischen Kirche von 2009 haben wir die „Umkehr zum Leben“ gefordert. Da geht es auch um Themen wie Umwelt- und Naturbildung von Kindern und Jugendlichen, und um die Entwicklung von Bildern „guten Lebens“, die für alle Menschen und ihre Mitgeschöpfe zukunftsfähige Perspektiven eröffnen. In der Natur lernen bereits Kinder zu staunen, Zusammenhänge zu verstehen und zu erkennen, dass die Schöpfung kein Materiallager ist. Nur über Erlebnisse kann die Ehrfurcht vor dem Leben wachsen.

Über Gothart Magaard

Gotthard Magaard, 1955 in Flensburg geboren, studierte evangelische Theologie in Berlin und Hamburg. Seit dem 1. Mai 2014 ist er Bischof im Sprengel Schleswig und Holstein.

Neben verschiedener Tätigkeiten innerhalb der Kirche war Bischof Magaard theologischer Referent im Dezernat für Erziehung, Bildung und Schulwesen des Norelbischen Kirchenamtes. Heute ist Magaard u.a. als Schirmherr für das Freiwillige Ökologische Jahr in Schleswig-Holstein tätig. Er berät die Kirchenkreise, Konvente und Gemeinden im Sprengel, repräsentiert die Landeskirche bei kirchlichen und gesellschaftlichen Veranstaltungen und pflegt den Dialog mit den unterschiedlichen religiösen, politischen und gesellschaftlichen Gruppen.

Er ist verheiratet und hat vier erwachsene Kinder. Seine Predigtstätte ist der Schleswiger St. Petri-Dom.

Den Kirchen laufen die Gläubigen weg, dabei hat sie doch die Möglichkeit, gerade auch junge Menschen emotional zu erreichen, sie für die Schöpfung zu sensibilisieren, in Gottesdiensten oder Konfirmandenfreizeiten...

Das beginnt in der Kita. Da staunen schon die Kleinsten, wenn sie untersuchen, was auf dem Waldboden herumkrabbelt, wenn sie auf Bauernhöfen Kartoffeln ausbuddeln, eine so genannte Sonnenwache erleben - bei der es um die Sonne und das Klima geht - oder im Gottesdienst Erntedank feiern.

Ist denn das Erntedankfest heute mehr als ein traditionelles Ritual?

Dankbarkeit für das tägliche Brot ist zu allen Zeiten ein wichtiges Thema. Es gibt genug Regionen in der Welt, in denen es am Nötigsten fehlt. Für Nahrung zu danken macht Sinn. Der Dank ist auch ein Stück Selbstverpflichtung, sorgsam mit der Natur umzugehen und zu teilen.

Wie versucht die Kirche, Teenager zu erreichen?

Wir betreiben Bildungshäuser, wie das Haus am Schüberg in Amersbek oder das Christian Jensen Kolleg im nordfriesischen Breklum. Junge Deutsche treffen Menschen aus unseren Partnerkirchen in aller Welt. Klimagerechtigkeit ist dort ein großes Thema. Christen von den Fidschi-Inseln berichten, was Klimawandel für sie bedeutet: Überschwemmungen und die Bedrohung ihrer Existenz. Die oft abstrakte Diskussion über den Klimawandel in unseren gemäßigten Zonen wird plötzlich konkret und existenziell. Ein Austausch, der sensibilisiert und das Verantwortungsbewusstsein schärft.

Sie selbst sind häufiger mit dem Klimafahrrad unterwegs, dazu Schirmherr für das Freiwillige Ökologische Jahr und die Aktion „KlimaSail“?

In diesem Jahr haben wir in Neumünster mit dem ADAC zum ersten Mal einen Fahrradgottesdienst unter freiem Himmel gefeiert, mit anschließender Fahrradtour. Besonders intensiv beschäftigen sich auch mehr als 120 junge Menschen jährlich mit der Natur. Sie engagieren sich nach dem Abitur im Rahmen des „Freiwilligen ökologischen Jahres“ in verschiedenen Projekten, beispielsweise im Wattenmeer, im Wald, in Bildungseinrichtungen oder Erlebnisparks. Naturschutz braucht Menschen, die von der Dringlichkeit des Handelns überzeugt sind, die sich verantwortlich fühlen und das Anliegen weitertragen. Auch das Projekt „KlimaSail“ ist sehr beliebt bei den Jugendlichen. In den Sommerferien segeln Gruppen von jeweils zehn bis 15 Schülerinnen und Schüler auf die Ostsee hinaus. Sie haben ein kleines Labor an Bord, dokumentieren ihren Ressourcenverbrauch, erleben und lernen viel über den Umgang mit der Natur und den weltweiten Klimawandel.

Sie feiern gelegentlich einen Gottesdienst auf dem Kutter?

In der Weite der Natur, bei Wanderungen durchs Watt oder auf einem Kutter, bei abgeschaltetem Motor, kommt man der Schöpfung sehr nahe.

Wir wollen gut verwalten, was Gott uns anvertraut, verantwortlich gestalten, was unsre Zukunft baut.

Worauf wollen Sie sich – neben Ihrem Engagement für die Natur - als Bischof im Sprengel Schleswig und Holstein konzentrieren?

Zwei Themen liegen mir am Herzen: Ich möchte mich für Entwicklungsperspektiven in ländlichen Räumen einsetzen und für Kinder, die von Armut bedroht sind. Das sind mehr als ein Viertel aller Kinder in Schleswig-Holstein - ein Skandal! Als Bischof kann ich öffentlich Position beziehen und hoffentlich einen Beitrag leisten, die Situation zu verbessern.

Ihre seelsorgerlichen Aktivitäten treten wohl angesichts Ihrer Verpflichtungen als Bischof in den Hintergrund?

Ich fühle mich als öffentlicher Seelsorger und erlebe das als Bereicherung. Ich habe jetzt die Chance, mich im Namen der Kirche einzumischen, brisante Themen aufzugreifen und Politikern Mut zu machen. Dazu feiere ich jede Woche mehrere Gottesdienste.

Welche Lieder singen Sie am liebsten mit der Gemeinde?

Natürlich den 350 Jahre alten Klassiker „Geh aus mein Herz und suche Freud“ von Paul Gerhardt, aber auch ein modernes Lied von 1978. Da heißt es in der vierten Strophe: „Wir wollen gut verwalten,/ was Gott uns anvertraut,/ verantwortlich gestalten,/ was unsre Zukunft baut./ Herr, lass uns nur nicht fallen / in Blindheit und Gericht./ Erhalte uns und allen / des Lebens Gleichgewicht.“

Das Gespräch führte Susanne Kunckel.