„Es lohnt sich, neugierig zu sein“
Christoph Biemann
In der „Sendung mit Maus“ spielen zwei Tiere die Hauptrolle: eine Maus und ein Elefant. Allerdings beide stark vermenschlicht. Kann man mittels Tierfiguren besser mit Kindern kommunizieren?
Es sind drei Tiere. Wir wollen die Ente nicht vergessen! Tatsache ist, dass das gut funktioniert. Kinder, gerade kleine Kinder, interessieren sich für Tiere, ja, sie sind geradezu verrückt nach Tieren. Und es lassen sich sehr gut Geschichten über Tiere erzählen. Das ist eine alte Erfahrung, wie die Fabeln von Äsop bis La Fontaine zeigen. Tiere dienen dabei der Abstraktion. Es geht nicht um den Onkel oder die Schwester, sondern es sind Tiere, denen man menschliche Züge andichtet. Das hat eine lange Tradition.
Es handelt sich ja um Zeichentrickfiguren. Und auch beim kleinen Maulwurf, bei Shaun, dem Schaf, Käpt’n Blaubär und den anderen Stars der Sendung haben wir es mit Tieren als Kunstfiguren zu tun. Echte Tiere sieht man vergleichsweise selten oder täuscht da der Eindruck?
Der Eindruck täuscht. In den Lachgeschichten sind natürlich mehr Tricktiere vertreten, aber in den Sachgeschichten gibt es viele Naturfilme – von Lukas, dem Hirschkäfer, bis Ferdinand, dem Tintenfisch, da gibt es ganze Serien. Die Tiere dort haben zwar auch menschliche Namen, aber einfach deshalb, um eine Geschichte erzählen zu können. In diesen Tierdokumentationen geht es nicht darum, dass wir die Tiere vermenschlichen wollen, wir wollen eine Identifikationsmöglichkeit für die Kinder schaffen. Dadurch wird die Bindung größer. Lukas, der Hirschkäfer, ist einfach der Held der Geschichte.
In den Sachgeschichten der „Maus“ geht es traditionell vergleichsweise viel um Verkehr und Technik und Warenproduktion. Wie entscheiden Sie sich im Team für die jeweiligen Schwerpunkte? Welche Bedeutung haben Naturthemen in diesem Zusammenhang?
Wir sagen jetzt nicht, wir brauchen 30 Prozent Technik, 30 Prozent Natur und 30 Prozent musische Bildung oder so. Tiere und Natur sind einfach ein fester Bestandteil der Sendung und da orientieren wir uns auch immer an den Fragen der Kinder, der Zuschauer also. Wir haben jetzt gerade eine Reihe rund um die Baumschule gesendet, ein starkes Naturthema, aber wir machen auch viele naturnahe Themen wie, nur als Beispiel, ein Beitrag über Vogelstimmenflöten.
Über Christoph Biemann
„Die Sendung mit der Maus“ wird seit März 1971 wöchentlich in der ARD ausgestrahlt. In dem bekannten Kinderprogramm wechseln sich unterhaltsame „Lach-„ und informative „Sachgeschichten“ ab. Christoph Biemann (63) ist seit 1972 dabei. Sein Markenzeichen ist ein grüner Pullover. Biemann ist aber nicht nur einer der Darsteller, sondern vor allem Autor und Regisseur. Seit 1989 produziert er außerdem mit seiner eigenen Produktionsfirma Delta TV Sachgeschichten für die „Maus“. Für seine Arbeit wurde Biemann mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter 1995 das Bundesverdienstkreuz.
Von den zahlreichen Fragen, die Kinder an die „Maus“ schicken, wie viele drehen sich da im weitesten Sinn um Naturthemen?
Ungefähr so viele wie in der Sendung vorkommen. Wir beziehen uns sehr stark auf die Fragen, die uns erreichen. Zum Beispiel war eine Frage, wie das beim Löwenzahn genau funktioniert, dass der als gelbe Blume zu sehen ist und ein paar Tage später als Pusteblume. Da haben wir festgestellt, dass dies eine höchst komplizierte Angelegenheit ist, wenn man es genau erklären will, und die auch schwer zu filmen ist, auch weil dies ja nur an ein paar Tagen im Jahr zu beobachten ist. Diese Frage beschäftigt uns sehr und wird sehr aufwendig umgesetzt. Das kann noch drei, vier Jahre dauern, bis der Beitrag gesendet wird.
Sie arbeiten drei bis vier Jahre an so einem kleinen Film?
Wir arbeiten bereits seit zwei Jahren daran und es werden sicher nochmal zwei, eher drei Jahre werden, ja. Man muss ja erst mal herausfinden, was genau da passiert und wie das passiert bei dieser Pflanze, und wie man das darstellen kann. Kann man das filmen oder muss man mit Zeichnungen oder Computergrafiken arbeiten? Und wenn man konkret nachfragt, zeigt sich, dass auch die Experten und Professoren gar nicht so genau erklären können, wie und warum das so funktioniert beim Löwenzahn.
Natur ist etwas, das schön ist, das spannend ist, bei dem es sich lohnt, genauer hinzugucken, mehr zu erfahren.
1972 zeigte die „Maus“ einen Beitrag, in dem eine Kuh mit einem Bolzenschussgerät getötet wird, der Beitrag wurde nur dieses eine Mal ausgestrahlt. Warum? Sollen Kinder so etwas nicht sehen? Sind Kinder heute labiler als damals?
Gute Frage. Ausgestrahlt wurde dieser Beitrag tatsächlich nur dieses eine Mal, weil es danach viele Proteste gab. Wir zeigen ihn aber öfters in Seminaren zur Geschichte der „Maus“, um zu erklären, wie stark der journalistische Impetus damals war. Wir haben gesagt, wir wollen Kinder aufklären, sie nicht schonen, nicht die Welt kindgerecht und klein und niedlich und schön zurechtbiegen, sondern Fakten zeigen, wie sie sind, harte Aufklärung. Wir wollten den Kindern sagen, wenn ihr Fleisch essen, wenn ihr Schuhe tragen wollt, dann werden dafür Tiere getötet. So ist das nun mal. Aber das ist nicht so gut aufgenommen worden. Vom journalistischen Gesichtspunkt her würde ich es heute wieder machen, aber das Umfeld ist nicht so ...
Da gibt es auch Druck vom Sender?
Nein nur vom Publikum. Der Sender stand damals voll dahinter, das war gar keine Frage.
Unser Geheimnis ist eben, dass wir Dinge so erklären, dass Kinder sie verstehen und das finden offenbar auch viele Erwachsene angenehm.
Glauben Sie, das sich die beiden Ansätze widersprechen: Einerseits Missstände im Bereich Tier-, Umwelt- und Naturschutz aufzeigen – und andererseits Kinder, oder Menschen allgemein, für die Schönheit von Flora und Fauna begeistern, beziehungsweise ihr Interesse wecken? Und welche Priorität setzen Sie?
Die Priorität liegt ganz klar auf dem Zweiten. Wir wollen sagen, Natur ist etwas, das schön ist, das spannend ist, bei dem es sich lohnt, genauer hinzugucken, mehr zu erfahren. Und gerade bei Umweltthemen wollen wir auch immer zeigen, welche Lösungen es für bestimmte Probleme gibt. Gerade Kinder verfallen schnell in schlechte Stimmungen, in ein Gefühl der Ausweglosigkeit, und sagen, oh Gott, die Zukunft ist ganz schlimm, so deprimierend. Deshalb zeigen wir, wenn es etwa um Energie geht oder um Abfälle und Recycling immer auch konstruktive Möglichkeiten, was man tun kann. Dass zum Beispiel Algen gezüchtet werden, um Erdöl zu ersetzen. Früher hat man in erster Linie gezeigt, wie etwas hergestellt wurde, heute zeigen wir, in einem anderen Beitrag dann, was passiert später damit. Wir zeigen nicht nur, wie eine Batterie funktioniert, sondern auch, was passiert, wenn sie leer ist, wie sie recycelt wird. Das war in den siebziger Jahren natürlich noch kein Thema, da hat sich unser Fokus also verändert. Auch der Fokus der Gesellschaft. Die „Maus“ ist ja Teil und Ausdruck der gesellschaftlichen Entwicklung. Zu sagen, es ist alles ganz schrecklich und gefährlich und giftig, das ist nicht unsere Aufgabe. Da sind auch die Erwachsenen mehr gefordert als die Kinder, denn die können ja nun wirklich nichts dafür.
Wie alt sind die Zuschauer der „Maus“ denn so?
Der Durchschnitt, heißt es, liegt bei 42 Jahren. Ob das stimmt, weiß ich nicht. Unsere Zielgruppe sind natürlich kleine Kinder von fünf bis neun oder zehn Jahren. Aber wir werden auch von vielen, vielen Erwachsenen gesehen ...
Das kann ich bestätigen.
... auch von vielen, die keine Kinder haben, viele Studenten schauen sehr gerne die „Sendung mit der Maus“, aber auch Senioren sind eine starke Zuschauergruppe. Unser Geheimnis ist eben, dass wir Dinge so erklären, dass Kinder sie verstehen und das finden offenbar auch viele Erwachsene angenehm.
Kinder bewegen sich immer weniger selbständig in der Natur, machen weniger direkte Naturerfahrungen und haben daher auch ein distanzierteres Verhältnis zur Natur. Glauben Sie, dass man mit Bildungsfernsehen für Kinder dem entgegenwirken kann und sollte?
In Ihrer Frage stecken mehrere Dinge, die nicht richtig sind. Erstens ist die „Sendung mit der Maus“ kein Bildungsfernsehen, sondern Unterhaltung für Kinder. Unterhaltung funktioniert auch dadurch, dass man etwas erfährt, was man ein paar Minuten vorher noch nicht wusste, das verschafft ein gutes Gefühl. Dass mit dieser Art der Unterhaltung auch ein bisschen Bildung einhergeht, nehmen wir natürlich in Kauf, ist aber nicht unser eigentliches Ziel. Das Zweite ist: Kinder wissen heute sehr viel mehr über die Natur als früher, gerade auch durchs Fernsehen. Wenn gesagt wird, Kinder glaubten heute, dass eine Kuh lila sei, so stimmt das nicht. Kinder wissen, wie Kühe aussehen und wo die Milch herkommt. Und zumeist wissen sie das auch durchs Fernsehen. Was richtig ist, dass sie weniger direkten Naturkontakt haben. Da haben vor allem Kinder in der Stadt tatsächlich ein Defizit. Was wir im Fernsehen zeigen können, ist, dass es sich lohnt, sich einfach mal ins Gras zu legen und zu gucken, was da kreucht und fleucht und blüht, oder auch mal eine Minute oder zwei, oder fünf oder auch zehn Minuten einer Ameise zuzuschauen, wo die herumläuft, was die macht. Es gibt ja den klugen Spruch: Man sieht nur das, was man weiß. Wenn man zum Beispiel weiß, dass Ameisen in Staaten leben, dann sieht man auch viel mehr, wenn man Ameisen beobachtet. Auch wenn die Augen dasselbe wahrnehmen, wird man mehr verstehen, wenn man schon etwas weiß. Auch da kann Fernsehen helfen.
Würden Sie das als ein pädagogisches Ziele der „Maus“ bezeichnen?
Als pädagogisches Ziel würde ich es nicht bezeichnen, aber eine Botschaft der „Maus“ ist: Es lohnt sich, neugierig zu sein. Es lohnt sich, die kleinen Dinge anzugucken. Die Sensation steckt oft im Kleinen, im scheinbar Alltäglichen.
Erleben Sie große Unterschiede zwischen Kindern, die auf dem Land und solchen, die in der Stadt groß werden? Haben sie unterschiedliche Interessen? Wenden sie sich mit anderen Fragen an die „Maus“?
Ich kann da keinen Unterschied feststellen. Aber es ist auch schwieriger geworden zu erkennen, woher ein Zuschauer stammt. Inzwischen schreiben ja viele per E-Mail, da kann man nicht mehr sehen, woher sie schreiben. Heutzutage lauten Absenderadressen ja „gmx.de“ oder so ähnlich.
Ändert sich die Kommunikation mit den Zuschauern durch die elektronische Post?
Ja, es wird vor allem sehr viel mehr. So eine E-Mail, das sind ja oft nur drei, vier Zeilen, schreibt man natürlich sehr viel schneller als einen Brief. Und manchmal kommt auch eine ganze Flut von E-Mails, wenn mal etwas nicht stimmt in einem Beitrag, wenn zum Beispiel die Seemeilen nicht richtig benannt wurden. Das würde nicht in dem Ausmaß passieren, wenn man einen Brief schreiben müsste.
Können Sie sich noch erinnern, wann Sie zum ersten Mal bewusst eine echte Maus gesehen haben?
Ja, als Kind. Ich bin in einer ländlichen Umgebung in einer Kleinstadt groß geworden. Da war eine Gießerei, wo ohne Ende Mäuse herumliefen.
Haben Sie heute, nun da Sie sozusagen „Mr. Maus“ sind, ein spezielles Verhältnis zu Mäusen oder sind das für Sie Tiere wie andere auch?
Zu richtigen Mäusen habe ich eigentlich kein besonderes Verhältnis. Wir hatten neulich eine Mäuseplage bei uns im Haus, das fand ich nicht so lustig. Da haben wir dann Gegenmaßnahmen ergriffen.
Welche Rolle haben Tiere für Sie als Kind gespielt? Hatten Sie Kontakt zu Tieren?
Außer einem Hamster, hatten wir keine Haustiere. Meine Schwester hat irgendwann Mäuse gezüchtet, die sie dann an Labors verkauft hat. Ich gebe zu, das ist eher prosaisch. (lacht)
Haben Sie viel in der Natur gespielt?
Ja, ich war oft mit meiner Großmutter unterwegs, die sich sehr für Pflanzen interessierte und mir alle Pflanzennamen beigebracht hat. Davon zehre ich heute noch.
Ich hab noch eine „Frage an die Maus“ sozusagen, also eine Frage, die ich schon immer mal jemandem stellen wollte. Vielleicht können Sie mir die beantworten oder zumindest sagen, was Sie glauben, woran es liegt: Weshalb interessieren sich so viele Kinder weit mehr für Dinosaurier als für lebende Wildtiere?
Ich kann die Frage leider nicht beantworten, aber das ist definitiv eine richtige Beobachtung. Es gibt Vier-, Fünfjährige, die unglaublich viele Dinosauriernamen kennen und ein extremes Wissen haben bezüglich Dinosauriern. Es ist ein Phänomen. Ich könnte mir denken, dass es vielleicht daran liegt, dass es so mächtige, so furchterregende Tiere sind, und das ist eine Methode, mit der eigenen Furcht umzugehen, also die Furcht durch Wissen zu besiegen. Das ist eine gute Erfahrung für kleine Kinder, zu sehen, dass das geht.
Das Gespräch führte Ivo Bozic