Großes Krabbeln in Abtshagen / Mecklenburg-Vorpommern
Ein Monitoring der Deutschen Wildtier Stiftung brachte überraschende Funde zutage – auch seltener und bedrohter Arten
„Karl der Käfer wurde nicht gefragt – man hatte ihn einfach fortgejagt“, hieß es im Lied der 80er-Jahre-Band „Gänsehaut“. Fast 40 Jahre später ereilt Lederlaufkäfer, Zimmermannsbock und Nashornkäfer dasselbe Schicksal wie Käfer Karl. Denn die Flächenversiegelung schreitet unaufhaltsam voran – und damit die Zerstörung des Lebensraumes vieler Insekten und anderer Wildtiere: Täglich werden deutschlandweit rund 54 Hektar als Siedlungs- oder Verkehrsflächen neu ausgewiesen. Im Jahr 2020 wurden allein in Mecklenburg-Vorpommern jeden Tag rund 1,4 Hektar Land in Wohnbauflächen, Industrie- und Gewerbe-, Verkehrs- und Erholungsflächen umgewandelt. Und bei den verbleibenden Waldflächen handelt es sich zu häufig um naturferne Wälder, in denen wenig bis gar kein Alt- oder Totholz zu finden ist. Um eine Einschätzung zu ermöglichen, was dieser Mangel für die artenreichste Ordnung der Insekten bedeutet, fand jetzt in Abtshagen bei Grimmen ein großes Käfermonitoring statt.
Auf einer Fläche des Nationalen Naturerbes (NNE), die der Deutschen Wildtier Stiftung 2018 übertragen wurde, untersuchte Holger Ringel, Käferexperte aus Greifswald, das Käfervorkommen in einem Gebiet mit einem jungen bis mittelalten Buchen-, Eichen-, Weiden,- und Birkenbestand. „Mein Augenmerk lag dabei vor allem auf den sogenannten xylobionten Käferarten, also denen, die Alt- und Totholz bewohnen. Alter und toter Baumbestand ist für eine positive Entwicklung einer Nationalen-Naturerbe-Fläche sehr wichtig“, sagt Ringel. Und Petra Riemann, Flächenkoordinatorin bei der Deutschen Wildtier Stiftung ergänzt: „Wir haben die naturnahen Waldflächen des Nationalen Naturerbes Abtshagen direkt mit Übernahme dauerhaft aus der Nutzung genommen – davon sollten vor allem Spezialisten wie Totholzkäfer oder auch Höhlenbrüter wie Eulen und Fledermäuse profitieren“.
Holger Ringel, Käferexperte aus Greifswald, untersucht das Käfervorkommen, um eine Einschätzung zu ermöglichen, was ein Mangel an Alt- oder Totholz für die artenreichste Ordnung der Insekten bedeutet. Foto: Holger Ringel
Seine Untersuchungsobjekte fing Ringel vorwiegend mit Trichterfallen und einer gärigen Flüssigkeit als Lockmittel; anschließend bestimmte er sie im Labor. Seine Ausbeute: 7.553 Käfer, die er 292 Arten zuordnen konnte. Darunter ganz unterschiedliche Krabbler: Saftlecker, Rindenbrüter, Mulm- (Humusboden-) Bewohner – oder auch pilzfressende Käfer. 64 Arten stufte der Experte als „bemerkenswert“ ein – sie sind entweder laut Rote Liste Deutschland oder Rote Liste Mecklenburg-Vorpommern bedroht oder unterliegen zumindest der Bundesartenschutzverordnung. „Ein besonderes Highlight unter den Käferfunden in Abtshagen ist der Glanzkäfer Meligethes atramentarius, der erst kürzlich bei Greifswald zum ersten Mal überhaupt in Mecklenburg-Vorpommern gemeldet wurde“, sagt Ringel. Dieser Käfer ist zwar kein Holzkäfer, entwickelt sich jedoch ausschließlich an der Goldnessel, einer typischen Waldpflanze, die auch in Abtshagen zu finden ist. Und auch die Funde des Schnellkäfers Crepidophorus mutilatus und des Düsterkäfers Melandrya barbata sind etwas Besonderes. „Käfer sind zwar klein, aber dennoch ein wichtiger Teil vom großen Ganzen“, sagt Holger Ringel zur Bedeutung seiner Arbeit für das Ökosystem Wald. „Wenn wir in ein paar Jahren erneut ein Käfermonitoring durchführen, können wir vergleichen, wie sich die Käfer-Fauna auf das zunehmende Alt- und Totholz eingestellt hat, und ob sich der Anzahl der Käfer erhöht hat.“
Infobox
Mehr zur NNE-Fläche der Deutschen Wildtier Stiftung in Abtshagen finden Sie hier:
Naturerbe AbtshagenFoto oben: Schnellkäfer (Hemicrepidius niger) - © imageBROKER.com / André Skonieczny