Wie umgehen mit dem Wolf?

Interview mit Hilmar Freiherr von Münchhausen

Rudel europäischer Wölfe
Der Wolf ist wieder da und wird bleiben. Das bringt Konflikte mit sich und führt in manchen Regionen zu erbittertem Streit. Hilmar Freiherr v. Münchhausen, Geschäftsführer der Deutschen Wildtier Stiftung, rät zum Pragmatismus und blickt in die Zukunft.

Hätten Sie als Student der Agrarwissenschaften in den 1980er-Jahren gedacht, dass einmal wieder Wolfsrudel durch Deutschland ziehen würden?

Niemals! Bis heute erinnern ja „Wolfsteine“ daran, wo einst der letzte Wolf, meist zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in Deutschland geschossen wurde. Die Tiere wurden gnadenlos verfolgt und ausgerottet. Vor 30 oder 40 Jahren stand der Naturfreund vor derartigen Denkmälern mit einer Mischung aus Faszination und Ehrfurcht. Die Bundesrepublik Deutschland blieb bis zur Wiedervereinigung frei von Wölfen. Die DDR ließ jeden Wolf erschießen, der sich von Osten über die Oder traute. Doch mit der Wiedervereinigung galt westdeutsches und europäisches Naturschutzrecht. In den 1990er-Jahren streiften schließlich erste Exemplare des großen „Grauen“ durch Brandenburg und Sachsen. Im Jahr 2000 war es dann so weit: Zum ersten Mal seit rund 100 Jahren gab es wieder Nachwuchs bei frei lebenden Wölfen in Deutschland. Geburtsort war die Muskauer Heide in der Oberlausitz. Von dort aus begann die Wolfsverbreitung in Deutschland.

Die Angst vor dem Wolf sitzt tief. Sie ist ein kulturelles Erbe, das aus dem Nichts entstand und das der Mensch so schnell nicht wieder loswird.

Nicht umsonst ist das „Rotkäppchen“ fest in unserer Welt verwurzelt. Der Mensch hat überwiegend Respekt vor dem Wolf und das nicht zu Unrecht. Auch wenn statistisch die Wahrscheinlichkeit um ein Vielfaches höher ist, von einem Haushund gebissen zu werden, können Wolfsübergriffe auf Menschen nicht völlig ausgeschlossen werden – insbesondere bei einem unangemessenen Verhalten des Menschen.

Hilmar Freiherr v. Münchhausen, Geschäftsführer der Deutschen Wildtier Stiftung

Hilmar Freiherr v. Münchhausen, Geschäftsführer der Deutschen Wildtier Stiftung

Wir müssen lernen, mit dem Wolf zu leben.

Dann ist der Spaziergang im Wald ab sofort unangemessen?

Nein, natürlich nicht. Doch Wälder sind mehr als eine wunderbare Naturkulisse für menschliche Erholung. Sie sind Lebensraum von Wildtieren. Und das müssen wir auch mit unserem Verhalten respektieren. Das beginnt dabei, keinen Müll und keine Essensreste in der Landschaft zu hinterlassen, geht über das Anleinen von Hunden und endet bei Begegnungen mit Wildtieren – ob Wildschwein oder Wolf. Meist ist eine solche Begegnung für beide Seiten überraschend. Dann sollte man nicht versuchen, noch näher an das Tier heranzukommen, um ein möglichst gutes Foto mit dem Smartphone zu machen, sondern es gilt, besonnen den Rückzug anzutreten.

Der Wolf ist gekommen, um zu bleiben; und die Aussicht darauf, dass er wieder verschwindet, ist gering. Also werden wir uns an ihn gewöhnen müssen?

So ist es. Wir müssen lernen, mit dem Wolf zu leben. Auch in anderen Regionen Europas und weltweit erwarten wir das vom Menschen. Und nicht nur der Wolf, jedes Wildtier löst in unserer dicht besiedelten und intensiv genutzten Kulturlandschaft Konflikte aus. Da unterscheidet sich der Wolf nicht vom Rothirsch, Biber oder Kormoran. Auch wenn die Zahl der getöteten Nutztiere durch die Zunahme des Wolfbestandes angestiegen ist, sind die damit verbundenen finanziellen Schäden verglichen mit Schäden durch Schwarz- oder Rotwild sehr gering.

Die Jäger müssen sich weiter qualifizieren.

Tatsache ist aber, dass vor allem die Weidetierhalter von der Rückkehr des Wolfes bereits stark betroffen sind.

Bei rund 85 Prozent der von Wölfen getöteten Nutztiere handelt es sich um Schafe oder Ziegen. In absoluten Zahlen wurden in Deutschland 2017 rund 1.700 Schafe und Ziegen gerissen. Das bei einem Schafbestand von rund 1,7 Millionen Tieren. Die Schafhaltung geht in Deutschland stark zurück. Das liegt aber nicht am Wolf, sondern an der seit vielen Jahren wirtschaftlich schwierigen Situation. Die Agrarpolitik hätte längst handeln und Weidetierhaltern gezielt helfen müssen. Denn sie übernehmen wichtige Funktionen für Naturschutz und Landschaftspflege.

Bei Wolfsangriffen müssen Weidetierhalter natürlich finanziell entschädigt werden. Das passiert auch, sofern sie ihre Herden mit Zäunen und Hunden geschützt haben. Rund 200.000 Euro wurden 2017 als Ausgleich für getötete Nutztiere gezahlt. Wichtiger aber als die Finanzierung der getöteten Schafe ist es, den Landwirten bei Präventionsmaßnahmen zu helfen. Von Phil Hogan, dem für Landwirtschaft zuständigen EU-Kommissar, kam während der Grünen Woche in Berlin im Januar diesbezüglich eine gute Nachricht für Wolf und Landwirtschaft gleichermaßen: Brüssel hat die Regeln zur Gewährung staatlicher Beihilfen dahingehend geändert, dass die Bundesländer Landwirten Schäden zu 100 Prozent ersetzen können. Auch Maßnahmen zum Schutz der Herden mit Zäunen oder Hunden können vollständig finanziert werden. Auf Wunsch können die Bundesländer diese Zahlungen auch über die EU-Förderung für den ländlichen Raum laufen lassen. 2017 wurden rund 1,3 Millionen Euro für Präventionsmaßnahmen gezahlt, um das Zusammenleben von Wolf und Weidetierhaltern zu verbessern – absolut gesehen viel Geld, gemessen an den jährlich rund 6,5 Milliarden Euro Agrarsubventionen jedoch ein überschaubarer Betrag.

Die Fläche, auf der Wölfe leben, wird weiter zunehmen. Ist es nicht notwendig, sich darüber Gedanken zu machen, wie und unter welchen Voraussetzungen der Wolf in Deutschland einmal reguliert werden könnte?

Das ist es. Die derzeitigen Wolfsmanagementpläne der Bundesländer sehen nur die Entnahme verhaltensauffälliger Wölfe vor, die sich u. a. auf das Reißen von Nutztieren spezialisiert haben oder sich wiederholt und dauerhaft in Siedlungsbereichen aufhalten. Die Pläne wurden in einer Zeit erarbeitet, in der die Frage einer Regulierung der Wolfbestände noch weit weg schien. Diese Politik muss jetzt überprüft und fortgeschrieben werden. Der Wolf ist in der Europäischen Union über die Flora-Fauna-Habitat (FFH) Richtlinie und die Aufnahme in ihren Anhang IV geschützt. Der Wolf sollte vom Anhang IV in den Anhang V verschoben werden. Im Anhang V befinden sich Arten, die bejagt werden können, sofern die Population als günstig einzuschätzen ist und ein regelmäßiges Monitoring stattfindet. Beispiele sind die Gämse oder der Baummarder.

Was genau muss berücksichtigt werden, wenn es darum geht, den Wolf zu „managen“?

Kennzeichnend für die Lebensweise des Wolfes ist zweierlei: Er lebt im Rudel und streng territorial. Ein Rudel besteht aus acht bis zehn Individuen. Die beiden Elterntiere, Jährlinge und fünf bis sechs Welpen. Die Jährlinge verlassen nach und nach im Alter von ein bis zwei Jahren das Rudel und begeben sich auf Wanderschaft. Dabei marschieren sie oft über Hunderte von Kilometern. Sind Partner und Revier gefunden, bildet sich mit den Nachkommen ein neues Wolfsrudel. Das Territorium eines Wolfsrudels umfasst rund 20.000 bis 30.000 Hektar, je nach Landschaft und Verfügbarkeit von Beutetieren. Das Rudel markiert und verteidigt sein Territorium mit aller Kraft gegen fremde Artgenossen. Die Konsequenz: Durch Fortpflanzung steigt nicht die Zahl der Wölfe im Raum, sondern die vom Wolf besiedelte Fläche. Das territoriale Leben im Rudel unterscheidet den Wolf von anderen Wildtieren wie Schwarz- oder Rotwild. Bei beiden Wildarten steigt die Anzahl von Individuen im Raum durch die Fortpflanzung an. Durch Geburt der Welpen und Abwanderung der Jungwölfe bleibt die Größe des Rudels beim Wolf dagegen stabil.

Sollte man eines Tages den Wolfsbestand quantitativ reduzieren müssen, ließe sich dies am besten durch den Abschuss der Welpen an der Wurfhöhle oder am sogenannten Rendezvous-Platz, dem Treffpunkt des Rudels sobald die Welpen rund vier Wochen alt sind, erreichen. Die Tiere sind in dieser Phase als Welpen klar erkennbar und die Sozialstrukturen im Rudel werden nicht gestört. Das Prinzip der Welpenbejagung wenden Jäger auch beim Fuchs erfolgreich an.

Sollte der Wolf in das Jagdrecht aufgenommen werden?

Das wäre sinnvoll und funktioniert ja auch bei anderen geschützten Arten wie Luchs oder Wildkatze. Er sollte zunächst eine ganzjährige Schonzeit bekommen. Mit der Aufnahme in das Jagdrecht würde unterstrichen, dass es die Jäger in Deutschland sein müssen, die für die Bejagung der Wölfe verantwortlich sind. Es kann niemand daran Interesse haben, dass parallele Strukturen in Deutschland aufgebaut werden, die das Reviersystem, das an den Grund und Boden gebundene Jagdrecht und die Jagdausübung über Jagdscheininhaber auf den Kopf stellt. Die Jäger müssen sich jedoch mit der Wildart Wolf auseinandersetzen und weiter qualifizieren. Reviere müssen sich zusammenschließen, um diese großräumig lebende Wildart zu managen. Dieser Zusammenschluss in Hegegemeinschaften und ihr Ausbau zu kompetenten Institutionen ist nicht nur mit Blick auf den Wolf sinnvoll, sondern auch bei anderen großräumig lebenden Wildarten wie dem Rotwild.

Die Forderung, Regionen zu wolfsfreien Gebieten zu erklären, lehnen wir ab.

Was halten Sie von der geforderten Regulierung über sogenannte „Schutzjagden“, mit der in einem definierten Raum eine bestimmte Anzahl von Wölfen erlegt werden sollen?

Die Landnutzer und der Deutsche Jagdverband haben diese Idee in die politische Diskussion gebracht. Sie möchten zur Schutzjagd – gemeint ist mit diesem euphemistischen Begriff wohl eine „Schafschutzjagd“ – aufrufen, wenn Wölfe nachweislich Schäden an Nutztieren verursachen. Völlig unklar bleibt bei diesem Ansatz, ob auf der Strecke dann wirklich die Wölfe liegen, die die Schäden verursacht haben oder ganz andere. Das Zerstören von Rudelstrukturen und der Abschuss der falschen Wölfe können fatale Folgen, insbesondere für Weidetierhalter haben. Die Schutzjagd geht davon aus, dass sich mit einer Verringerung der Wölfe auch die Schäden an Nutztieren vermindern. Dies ist mitnichten der Fall! Auch wenige Wölfe können hohe Schäden auslösen. Es muss daher mit Blick auf die Schäden durch Wölfe darum gehen, die „Übeltäter“ zu töten und es anderen Wölfen durch guten Herdenschutz zu verleiden, Schafe statt Rehe zu reißen.

Was halten Sie von den ebenfalls geforderten wolfsfreien Zonen?

Nicht viel. Der Wolf besiedelt heute rechnerisch eine Fläche von rund 10 Prozent der Agrar- und Waldfläche Deutschlands. Aus Sicht der Deutschen Wildtier Stiftung gibt es noch viele geeignete Lebensräume für den Wolf. Die Forderung, Regionen mit Weidetierhaltung zu wolfsfreien Gebieten zu erklären, lehnen wir ab. Damit würde eine Ideologie auf den Wolf übertragen, die es leider in einigen Bundesländern beim Rothirsch gibt. Auf Druck der Forstwirtschaft erlauben Länder wie Bayern und Baden-Württemberg dem Rothirsch nur in wenigen Reservaten zu leben. Außerhalb dieser Rotwildbezirke, die in Baden-Württemberg ganze vier Prozent der Landesfläche ausmachen, muss das Rotwild abgeschossen werden. Selbst den alpinen Raum möchten die Landnutzer zu einem wolfsfreien Gebiet machen, da „es grundsätzlich nicht möglich sei, eine Koexistenz zwischen Wölfen und extensiver Weidewirtschaft zu gestalten“. Merkwürdig, dass wir uns in den Alpen nicht zutrauen, das zu schaffen, was in den Pyrenäen oder Abruzzen möglich ist.

Am Ende geht es immer um das Fressen und Gefressen werden.

Der Wolf ist ein Fleischfresser. Ein Rudel erbeutet in seinem rund 25.000 Hektar großen Revier mindestens 300 Stück Schalenwild pro Jahr, vorwiegend Rehe. Diese Zahlen mögen den Jägern nicht schmecken. Doch da sie und ihre Interessensvertretungen sich als Naturschützer verstehen, kann der Wolf nicht als Konkurrent um die Rehkeule gesehen werden. Wir müssen realistisch und nüchtern darüber nachdenken, wie wir Konflikte zwischen Mensch und Wolf gelöst bekommen und wie wir am Ende des Tages, wenn wir in Deutschland Wölfe wirklich regulieren müssen, dies tierschutzgerecht und zielgenau am besten machen.

Das Interview führte Henrike Freifrau von Speßhardt, © Deutsches Adelsblatt
Wir danken für die Genehmigung, den Text auf DeutscheWildtierStiftung.de zu veröffentlichen.

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