Schutzwaldsanierung im Gamsrevier
Beispiele für Zielkonflikte
Hintergrund
Gämsen dürfen nach dem bayerischen Jagdgesetz nur 4,5 Monate im Jahr gejagt werden (1.8. bis 15.12.). Doch fast für den gesamten bayerischen Alpenraum gibt es gesonderte Verordnungen, die die Schonzeit für Gams-, Rot- und Rehwild auf großen Flächen aufheben. Allein in Oberbayern erlegen die Bayerischen Staatsforste fast jede fünfte Gämse außerhalb der gesetzlichen Jagdzeit. Die Schonzeitaufhebungsverordnung für den Regierungsbezirk Oberbayern wurde im Februar 2019 trotz des Widerstandes von Naturschutz- und Jagdverbänden verlängert. Gegen die Aufhebung der Schonzeit hat der Verein Wildes Bayern, unterstützt von der Deutschen Wildtier Stiftung, im Sommer 2019 beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof einen Normenkontrollantrag (Pressemitteilung) gestellt.
ZIELKONFLIKTE IM GAMSLEBENSRAUM
Doch nicht nur aus Gründen des Wildtierschutzes gehören die „Schonzeitaufhebungsflächen“ im bayerischen Bergwald dringend aufgelöst. Auf vielen dieser Flächen widersprechen sich die Ziele der Schutzwaldsanierung und der damit verbundenen Schonzeitaufhebung auf ein und derselben Fläche mit den Zielen des Biotopschutzes, des Tourismus, der Waldweide oder des Wildtierschutzes. So ist es zum Beispiel möglich, dass auf einer „Schonzeitaufhebungsfläche“ ein besonders wertvolles Biotop liegt, das viel Licht benötigt und durch den Verbiss des Schalenwildes eigentlich gefördert wird. Außerdem gibt es Flächen, die vor allem im Winter von Skitouristen oder Wanderern freiwillig gemieden werden – in denen aber ganzjährig gejagt werden darf.
Wie widersinnig die Aufhebung der Schonzeit im Bergwald sein kann, zeigen viele konkrete und flächenscharfe Beispiele, die die Deutsche Wildtier Stiftung zusammengetragen hat:
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Beispiel 1: Waldweide im Landkreis Garmisch-Partenkirchen
Zielkonflikt: Waldweide versus Schutzwald
Ort: Landkreis Garmisch-Partenkirchen
Eigentumsverhältnisse: überwiegend Staatswald (BaySF Forstbetriebe Oberammergau & Bad Tölz)
Beschreibung: In den bayerischen Alpen hat die Waldweide eine lange Tradition: Dabei wird das Nutzvieh in den Wald getrieben, damit es sich dort Futter sucht und Unterstand findet. Waldweide hat heute als landwirtschaftliche Nutzungsform zwar keine Bedeutung mehr, als Instrument des Naturschutzes ist es jedoch sehr gefragt. Durch Waldweide entstehen offene bzw. halboffene Strukturen im Bergwald und damit Hot Spots der biologischen Vielfalt. Das Bundesland Bayern hat eine besondere Verantwortung für die ökologische Vielfalt durch Beweidung. Dabei ist es unerheblich, ob die Strukturen im Bergwald durch Nutzvieh oder das wildlebende Schalenwild beeinflusst werden. Das Gamswild hilft durch Äsung diese Strukturen zu erhalten. Seine ganzjährige Bejagung steht im Widerspruch zu den Zielen der Waldweide.
Ausmaß: Im Landkreis Garmisch-Partenkirchen ist auf 4.682 ha die Schonzeit auf Gämse, Reh- und Rotwild aufgehoben. 65 % (3.038ha) der Schonzeitaufhebungsflächen liegen gleichzeitig auf Waldweideflächen.
Die Karten und Texte können Sie hier als PDF herunterladen.
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Beispiel 2: Schutz wertgebender Vogelarten und Offenland-Biotope im Mangfallgebirge
Zielkonflikt: Artenschutz versus Schutzwald
Ort: FFH & SPA „Mangfallgebirge“ (8336-371/ -471); Landkreis Miesbach
Eigentumsverhältnisse: überwiegend Staatswald (BaySF Schliersee)
Beschreibung: Das Mangfallgebirge beherbergt wertvolle Lebensräume für alpine Vögel wie Steinadler, Raufußhühner, diverse Spechtarten, Berglaubsänger oder Zwergschnäpper. Von besonderem Wert sind die im FFH-Gebiet befindlichen Offenland-Biotope der Weißachaue mit ihren charakteristischen Artgemeinschaften, wie z.B. orchideenreichen Kies-, Trocken- und Kalkmagerrasen und der naturnahen Auwaldabfolge. Gamswild und andere Wiederkäuer könnten durch Verbiss diese wichtigen Offenland-Biotope erhalten und fördern. Die ganzjährige Bejagung auf einem Teil der Schutzgebietsfläche und davon auf 260 ha wertgebenden Offenland-Biotopen stehen den Zielen des Artenschutzes entgegen.
Ausmaß: Auf ~ 1.500 ha und damit 14,5 % des SPA ist die Schonzeit ganzjährig zur Vergrämung des Schalenwildes aufgehoben. Davon liegen wiederum knapp 230 ha in ausgewiesenen Offenland-Biotopen.
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Beispiel 3: Offenlandbiotope südlich und östlich der Kampenwand
Zielkonflikt: Biotopschutz versus Schutzwald
Ort: Kampenwand i.d. Chiemgauer Alpen, Landkreis Traunstein
Eigentumsverhältnisse: Staatswald (BaySF Ruhpolding)
Beschreibung: Die Kampenwand ist ein über 1.600 m hoher Berggipfel in den Chiemgauer Alpen und überregional als Kletter- und Wandergebiet bekannt. Südlich und östlich der Kampenwand ist in umfangreichen Gebieten die Schonzeit für Rot-, Reh- und Gamswild ganzjährig aufgehoben, zwei Schonzeitaufhebungsgebiete sind nach der Kampenwand benannt (Süd-Ost & Süd-West). Gleichzeitig sind auf den Flächen der Schonzeitaufhebungsgebiete großflächig Bereiche mit besonders shützenswerten Offenlandbiotoptypen der Alpen ausgewiesen. Dies sind u.a.
• Extensivweiden und Alpenmagerweiden der Weidenau unterhalb des Markkasers (Biotop Nr. A8240-0165),
• Beweidete Horstseggenrasen und Buckelfluren der Weidenau unterhalb des Markkasers (Biotop Nr. A8240-0164),
• Alpenmager- und Extensivweiden der vorderen Dalsen-Alm (Biotop Nr. A8240-0173).Ausmaß: Südlich und östlich der Kampenwand darf auf einer mehr oder weniger zusammenhängenden und Landkreis-übergreifenden Fläche von fast 2.500 ha ganzjährig gejagt werden. Die Schonzeitaufhebungsfläche Kampenwand Süd-West ist 191 ha groß, knapp 35 ha und damit 18 % des Gebietes sind kartiertze Offenlandbiotope.
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Beispiel 4: Ganzjährige Jagd in der Felsregion am Mittersee
Zielkonflikt: Schonzeitaufhebung versus Wildtierschutz
Ort: Landkreis Traunstein, nördlich des Mittersees
Eigentumsverhältnisse: Staatswald (BaySF Forstbetrieb Ruhpolding)
Beschreibung: Die wichtigsten Lebensraumkomponenten der Gämse sind je nach Jahreszeit warme, sonnige Lagen mit geringer Schneedecke im Winter, produktive Grasflächen und immer steile Rückzugsgebiete. Das kann eine Wand im Hochgebirge ebenso sein wie ein steiler Felsgrat im Bergwald. Gebiete mit einem hohen Felsanteil sind daher ein wichtiger Rückzugsraum für Gämse, in denen von Natur aus kaum ein Risiko für zu hohen Verbiss an der Waldverjüngung besteht. Die ganzjährige Jagd in den felsigen Regionen nördlich des Mittersees steht im Widerspruch zu einem fairen Umgang mit den Gämsen in den Bayerischen Alpen.
Ausmaß: 23 % des 272 ha großen Schonzeitaufhebungsgebietes nördlich des Mittersees sind von Fels bedeckt.
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Beispiel 5: Auerhuhnschutz in den östlichen Chiemgauer Alpen
Zielkonflikt: Artenschutz versus Schutzwald
Ort: SPA „Östliche Chiemgauer Alpen“ (8241-401); LK Traunstein (66 %) und LK Berchtesdadener Land (34 %)
Eigentumsverhältnisse: Staatswald (BaySF Forstbetrieb Ruhpolding & Berchtesgaden)
Beschreibung: Die östlichen Chiemgauer Alpen sind einer der wichtigsten Lebensräume für Rauhfußhühner in Bayern. In den reich strukturierten Wäldern finden Auer- und Birkwild lückige Altholzbestände und lichte Wälder mit einer geschlossenen Kraut- und Strauchschicht. Gamswild und andere Wiederkäuer könnten durch Verbiss diese wichtigen Offenland-Biotope erhalten. Die großflächige Schutzwaldsanierung und die damit verbundene ganzjährige Bejagung auf einem Viertel der Schutzgebietsfläche steht den Zielen des Artenschutzes entgegen.
Ausmaß: Auf ~ 2.451 ha und damit 19 % des SPA ist die Schonzeit ganzjährig zur Vergrämung des Schalenwildes aufgehoben. Davon liegen wiederum knapp 815 ha in ausgewiesenen Offenland-Biotopen.
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Beispiel 6: Wald-Wild-Schongebiete am Hochfelln
Zielkonflikt: Schonzeitaufhebung versus Tourismuslenkung
Ort: Chiemgauer Alpen, Landkreis Traunstein
Eigentumsverhältnisse: Staatswald (BaySF Ruhpolding)
Beschreibung: Der Hochfelln ist ein Berg in den Chiemgauer Alpen, der durch sein umfangreiches Wanderwegenetz und einen weiten Blick auf den Chiemsee ein beliebtes Tourenziel ist. In diesem Gebiet sind vier Wald-Wild-Schongebiete (WWS) vom Deutschen Alpenverein (DAV) ausgewiesen, in denen Raufußhühner und andere Wildtiere vor Störungen und Beeinträchtigungen durch Wintersportler bewahrt werden sollen. In allen diesen WWS darf aber ganzjährig gejagt werden. Die Schonzeitaufhebungsverordnung steht hier im Widerspruch zu den Zielen der Tourimuslenkung
Ausmaß: Im Bereich des Hochfelln darf auf einer Fläche von 1.194 ha ganzjährig auf Gämse, Rehe und Rotwild gejagt werden. In diesem arrondierten Gebiet liegen die WWS „Torauschneid“ (44 ha), „Gröhrkopf Süd“ (5 ha), „Felln Alm“ (37 ha) und „Hinter-Alm Schindeltal-Diensthütte“ (12,5 ha), die zwar nicht durch Touristen gestört werden sollen, die aber gleichzeitig zu 100 % von der Schonzeitaufhebung betroffen sind.
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Beispiel 7: Ganzjährige Jagd außerhalb des Schutzwaldes am Teisenbergkopf
Zielkonflikt: Schonzeitaufhebung ohne Schutzwaldausweisung versus Tourismuslenkung
Ort: Wald-Wild-Schongebiet „Teisenbergkopf“, Landkreise Traunstein & Berchtesgadener Land
Eigentumsverhältnisse: Staatswald (BaySF Forstbetrieb Berchtesgaden)
Beschreibung: Wald-Wild-Schongebiete sind vom Deutschen Alpenverein (DAV) ausgewiesene Gebiete, in denen Raufußhühner und andere Wildtiere vor Störungen und Beeinträchtigungen durch Wintersportler bewahrt werden sollen. Das Skitouren- und Schneeschuhgehen ist dort nicht naturverträglich. Auf einem Viertel der Fläche des Wald-Wild-Schongebietes „Teisenbergkopf“ darf aber ganzjährig und damit auch während der Skisaison gejagt werden. Gleichzeitig wurde am Teisenbergkopf die Schonzeit auf einer Fläche aufgehoben, die nicht einmal als Schutzwald ausgewiesen worden ist.
Ausmaß: Auf 125 ha und damit 28 % des Wald-Wild-Schongebietes (WWS) „Teisenbergkopf“ darf ganzjährig gejagt werden. 49 Hektar Schonzeitaufhebungsfläche innerhalb des WWS und weitere 120 ha außerhalb des WWS sind nicht einmal als Schutzwaldsanierungsfläche ausgewiesen.
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Beispiel 8: Waldweide im Berchtesgadener Land
Zielkonflikt: Waldweide versus Schutzwald
Ort: Berchtesgadener Alpen; Landkreis Berchtesgadener Land
Eigentumsverhältnisse: überwiegend Staatswald (BaySF Berchtesgaden)
Beschreibung: In den bayerischen Alpen hat die Waldweide eine lange Tradition: Dabei wird das Nutzvieh in den Wald getrieben, damit es sich dort Futter sucht und Unterstand findet. Waldweide hat heute als landwirtschaftliche Nutzungsform zwar keine Bedeutung mehr, als Instrument des Naturschutzes ist es jedoch sehr gefragt. Durch Waldweide entstehen offene bzw. halboffene Strukturen im Bergwald und damit Hot Spots der biologischen Vielfalt. Das Bundesland Bayern hat eine besondere Verantwortung für die ökologische Vielfalt durch Beweidung. Dabei ist es unerheblich, ob die Strukturen im Bergwald durch Nutzvieh oder das wildlebende Schalenwild beeinflusst werden. Das Gamswild hilft durch Äsung diese Strukturen zu erhalten. Seine ganzjährige Bejagung steht im Widerspruch zu den Zielen der Waldweide.
Ausmaß: Im Landkreis Berchtesgadener Land ist auf 4.780 die Schonzeit auf Gämse, Reh- und Rotwild aufgehoben. 46 % (2.196 ha) der Schonzeitaufhebungsflächen liegen gleichzeitig auf Waldweideflächen.
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Beispiel 9: Ganzjährige Jagd im Nationalpark Berchtesgaden
Zielkonflikt: Prozessschutz versus Schutzwald
Ort: Nationalpark Berchtesgaden, Landkreis Berchtesgadener Land
Eigentumsverhältnisse: Staatswald; Nationalparkverwaltung
Beschreibung: Im Gegensatz zur Normallandschaft stehen in einem Nationalpark die Ziele des Natur-, Arten- und Prozessschutzes im Mittelpunkt. Die ökologischen Effekte von wildlebenden Huftieren sollten hier als ein natürlicher Prozess begriffen, unterstützt und geschützt werden. Denn Gämse, Rot- und Rehwild haben einen ökologischen Zweck und sind der Schlüssel für viele ökologische Prozesse. Überall dort, wo ein ernstgenommener Prozessschutz alle anderen Ziele und menschlichen Eingriffe ausschließt, sollte also auch die Jagd ganzjährig ruhen. Umgekehrt steht die ganzjährige Jagd in Teilen des Nationalparks Berchtesgaden in einem völligen Widerspruch zu den Zielen des Prozessschutzes.
Ausmaß: An der nördlichen Grenze des Nationalparks Berchtesgaden befinden sich vier Schonzeitaufhebungsgebiete mit einer Gesamtfläche von 833 ha.
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FORDERUNGEN DER DEUTSCHEN WILDTIER STIFTUNG
Mit einer regulären Jagd im Rahmen der gesetzlichen Jagdzeiten können die allermeisten Schutzziele im bayerischen Bergwald erreicht werden. Die Deutsche Wildtier Stiftung fordert daher
Schonzeitaufhebungen nur in seltenen Einzelfällen genehmigen!
Ausnahmen von den gesetzlichen Jagd- und Schonzeiten für Gamswild sollten nur dort erfolgen, wo es keine andere Möglichkeit gibt, den kurzfristigen Schutz von wichtigen Infrastruktureinrichtungen und Wohngebäuden zu gewährleisten. Vor der Aufhebung der Schonzeit sind andere Maßnahmen zum Schutz von aufwachsenden Bäumen durchzuführen. Erfolgte Schonzeitaufhebungen müssen jährlich evaluiert werden.
Auf den betroffenen Flächen sollte die Schonzeit ausschließlich für Gamskitze bis zum 31. März und für Jährlinge aufgehoben werden, da durch die jagdbedingten Störungen ältere Tiere ohnehin vergrämt werden. Auf Flächen, auf denen Waldweide ausgeübt wird, dürfen keine Schonzeitaufhebungen erlassen werden. Im Nationalpark Berchtesgaden ist die Aufhebung von Schonzeiten umgehend zu beenden.
Gamsschongebiete ausweisen!
In Gebieten, in denen kein günstiger Erhaltungszustand des Gamswildes mehr vorhanden ist, sind bergstockweise Gamsschongebiete auszuweisen, in denen die Jagd auf Gamswild für mindestens fünf Jahre ruht. Diese Gamsschongebiete müssen einen Ganzjahreslebensraum umfassen.
Konzepte zur Beruhigung sensibler Wintereinstände umsetzen!
Der natürliche Lebensraum des Gamswildes, das Hochgebirge, ist auch ein attraktiver Erholungsraum für uns Menschen. Gemeinsam mit dem Deutschen Alpenverein und weiteren Tourismusverbänden sind geeignete Konzepte zur Beruhigung sensibler Wintereinstände des Gamswildes in den bayerischen Alpen bzw. in den Grenzgebieten zu entwickeln und verbindlich umzusetzen.