Verleihung des Forschungspreises 2017
"Neues Ungeziefer in der Gegend" - das will erkundet werden!
„New bugs on the block: Populations- und Naturschutzgenetik ausgesuchter Blockhaldenbewohner mit kryptischer Artdifferenzierung“ - so lautete der Titel der Arbeit, mit der Doktorand Robert Klesser die unabhängige Forschungspreis-Jury renommierter Fachwissenschaftler überzeugt hatte. Selbst Menschen, die keine Spinnenfreunde sind, schafft es der junge Wissenschaftler mit seinen Ausführungen zu faszinieren! Ein Blick in die acht Augen einer Wolfsspinne - ja, das hat was. Auch wenn der Betrachter vielleicht insgeheim froh ist, dass es sich beim Begutachten des Bildes in Klessers Büro nicht um ein lebendiges Exemplar handelt.
Von der Vogelspinne im Kinderzimmer zur Wolfsspinne auf die Blockhalde
Das steht fest: Wer Blockhalden erforscht, die in Deutschland etwa im Harz, im Schwarzwald oder im Mittelgebirge zu finden sind, braucht Ausdauer und Leidenschaft. "Manchmal sitze ich eine halbe Stunde und länger vor den Steinen, bevor sich einer der winzigen Blockhaldenbewohner zu meinen Füßen blicken lässt", erzählt der Biologe von der Hamburger Universität. Denn in diesen Steinhaufen, in denen es ausser Moosen, Flechten oder Algen keine Vegetation gibt, leben neben Wolfsspinnen auch andere Wesen wie die Alpensack- oder Höhlenkreuzspinne - oder die spinnenförmige Schneemücke. "Die meisten Spinnen leben solitär, sie sind Einzelgänger", erzählt Klesser. "Das heißt, wenn sie sich begegnen innerhalb der unzähligen Höhlengänge, greifen sie sich nicht unbedingt an, sondern gehen in der Regel einfach einander vorbei und weiter."
Blockhalden - unerforschte Inseln der Biodiversität
Das Besondere und wahrhaft neue ist die Blockhalde als Lebensraum selbst. "Blockhalden sind große Ansammlungen von Steinblöcken, denen im Unterschied etwa zu Geröllhalden die Feinschicht aus Sand und Kies fehlt", erklärt Robert Klesser. "Tausende Steine bilden ein weitverzweigtes und für unsere Augen völlig undurchsichtiges Höhlensystem aus." Im Winter dringt der Frost so tief in die Blockhalde hinein, dass sich Eiskerne bilden, die sich auch im Sommer, wenn es draußen warm ist, tief unten halten. Klesser vermutet daher, dass es in Blockhalden Eiskerne gibt, die zur letzten Eiszeit entstanden und noch nie abgeschmolzen sind. So ein bis dato noch völlig unerforscher Lebensraum - quasi eine riesige Ansammlung von Höhlen mit natürlich eingebauter Turboklimaanlage - ist spannend. Welche Tiere leben hier? Warum kommen sie – im Gegensatz zu anderen - mit dem extremen Klima klar? Wie vermehren sie sich? Hat sich ihre Genetik im Verlauf von Tausenden Jahren verändert? Bedroht sie der zunehmende Stickstoffgehalt in der Luft? All das - und noch viel mehr - möchte Klesser herausfinden.
Wir müssen Sonderstandorte als schützenswert begreifen
Warum sind Blockhalden preisverdächtig?
„Bislang unbeachtete Standorte wie Geröllhalden, Steinbrüchen, Tagebaue oder auch Truppenübungsplätze sind für die unscheinbaren und unbekannten Spezialisten im Tierreich wichtige Standorte“, sagt Prof. Dr. Fritz Vahrenholt, Alleinvorstand der Deutschen Wildtier Stiftung. „Die Arbeit von Robert Klesser lehrt uns, unser Augenmerk auf diese Raritäten zu richten und auch Sonderstandorte als schützenswert zu begreifen. Es handelt sich um Arten in ökologischen Nischen, die sonst aus Mitteleuropa verschwinden würden.“ Die Deutsche Wildtier Stiftung fördert mit dem Forschungspreis herausragende wissenschaftliche Arbeiten, die das Wissen und den Umgang mit Wildtieren im dichtbesiedelten und naturarmen Mitteleuropa voranbringen.
Mit dem Stipendium der Deutschen Wildtier Stiftung ist es dem jungen Forscher nun möglich, in den nächsten 2 bis 3 Jahren mit voller Hingabe und Fleiss seinen Forschungen nachzugehen. "Ich und mein Team werden uns jetzt auf Blockhalden nicht nur in Deutschland, sondern europaweit aufhalten können", sagt er. Winzige High-Tech-Geräte können entwickelt werden, zum Beispiel eine Schlauchkamera, mit der man in das Höhlensystem hineinschauen kann, ähnlich wie in der Invasivchirurgie. Oder ein Makrostaubsauger, der die Tierchen ohne Umschweife sicher und sauber aus ihren Höhlen in die Sammelforschungsbox zieht. "Nicht zuletzt kosten die genetischen Arbeiten, an denen auch Labore beteiligt sind, viel Geld", so der Spinnenforscher.
Wer Blockhalden erforscht, braucht Leidenschaft und Ausdauer
Wie lebt ein Spezialist in einem hochspeziellen Ökosystem wie der Blockhalde?
In den Steinhöhlen deutscher Mittelgebirge findet die noch wenig erforschte Wolfsspinne ihren Lebensraum. Hier lebt sie zurückgezogen als Einzelgängerin mit ihren "Nachbarn", etwa der spinnenförmigen Schneemücke, der Alpensackspinne oder dem Blockhalden-Nestkäfer. Tiere, die in Blockhalden leben, zu fangen, ist zeitaufwendig. "Pro Spinne muss man schon mit einer halben Stunde rechnen, bis sich ein Exemplar zeigt", sagt Forschungspreisträger Robert Klesser.
Die letzten drei Forschungspreisträgerinnen
Die letzten drei Forschungspreisträgerinnen der Deutschen Wildtier Stiftung
Hier ging es um den Wolf, den Igel, den Feldhamster ...
2015: Diplom-Psychologin Uta Maria Jürgens
Vom Konflikt zur Koexistenz (Laufendes Projekt)
Uta Maria Jürgens geht es in ihrer Forschungsarbeit um das von „Vorurteilen“ geprägte Mensch-Tier-Verhältnis. Wildtiere berühren die meisten Menschen emotional. Deshalb werden sie entweder gefüttert und romantisiert - oder verdammt und gefürchtet. Aus Unwissenheit gibt es dann Vorurteile gegen einzelne Arten. Oft fehlt es schlicht an Fakten - denn auch im Fokus der Forschung bleiben heimische Wildtiere verkannte Außenseiter.
2013: Dr. Lisa T. Warnecke
Ökophysiologische Anpassungen von Kleinsäugern in urbanen Habitaten am Beispiel des Igels
Die Hamburgerin Dr. Lisa Warnecke erhielt 2013 den Forschungspreis der Deutschen Wildtier Stiftung. Die Forscherin, die am Zoologischen Institut der Universität Hamburg arbeitet, misst die Stoffwechselaktivitäten freilaufender Igel im Jahresverlauf, um Unterschiede zwischen stacheligen „Städtern“ und „Dorfbewohnern“ festzustellen. Ihre Arbeit beantwortet Fragen an die Anpassung von Wildtieren an urbane Lebensverhältnisse und schwankende Umweltbedingungen im Zusammenhang mit dem Energiehaushalt am Beispiel des Igels.
2011: Dr. Stefanie Monecke
Ontogenese, Reproduktions- und Überwinterungserfolg beim Feldhamster
Pünktlich springt die innere Uhr des Feldhamsters für sechs Monate von der Sommerzeit auf die Winterzeit um: Das Schlafhormon Melatonin schnellt in die Höhe, die Körpertemperatur sinkt im Schlaf von 37 auf bis zu 1,9 Grad. Die wissenschaftliche Arbeit von Dr. Stefanie Monecke über die Fähigkeit des Feldhamsters, seinen Aktivitätsrhythmus zu ändern und dabei mit Hilfe der inneren „Jahresuhr“ obendrein die Reproduktion zu steuern, hat der Biologin 2011 den Forschungspreis der Deutschen Wildtier Stiftung eingebracht. Die Preisträgerin hat in Hannover Biologie studiert und in Stuttgart promoviert.