Waldkinder Breitenbach
Naturerfahrung in familiärer Atmosphäre
Zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit dem richtigen Konzept
Die Straßen winden sich über die Berge des Rennsteigs in Thüringen. In immer mehr Kurven erreicht man schließlich die höchste Stelle, um dann erneut hinunter zu fahren. Irgendwann werden die Straßen zu Pfaden, von denen aus man die im Herbst bunt gefärbten Blätter des Thüringer Waldes bestaunen kann — und mittendrin der kleine Ort Schmalkalden-Breitenbach. Geprägt durch Landwirtschaft und Einfamilienhäuser mit großem Garten fällt in dem Dorf sofort ein weißer Fachwerkbau mit blauen Balken und Kirchturm auf. Hier sind die „Waldkinder Breitenbach“ zu Hause. „Das Gebäude ist ein Gemeinschaftsgebäude – das ehemalige Schulhaus von Breitenbach. Genutzt wird es momentan von uns als Kindergarten und der Kirche. Konfessionell arbeiten wir aber nicht in der Einrichtung“, erklärt Wibke Bauer, Leiterin des Kindergartens.
Unser Konzept spricht die Eltern an.
Steckbrief
Art: Waldkindergarten
Geografische Lage: Schmalkalden-Breitenbach, 25 km nördlich von Meiningen
Gründungsjahr: 2009
Träger: Stadtverwaltung Schmalkalden
Anzahl der Kinder: 38
Alter der Kinder: 2–6 Jahre
Betreuungsschlüssel: 5 Erzieher/innen (TZ) + FSJ
Vor elf Jahren kam die studierte Sozial– und Erlebnispädagogin mit der Idee, einen Waldkindergarten zu eröffnen, nach Schmalkalden und die Stadt hatte einen Vorschlag für sie: „Der Kindergarten in Breitenbach existierte bereits, war aber nur zur Hälfte ausgelastet. Daher suchte die Stadt nach einem neuen Konzept. Da war ich mit meiner Idee zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, lacht Wibke. Und so begann die Arbeit im Waldkindergarten. „Unser Konzept spricht die Eltern an. Den nächsten Waldkindergarten gibt es in Ilmenau, das ist 50 Kilometer entfernt von Schmalkalden. Die Anmeldungen sind deshalb in den vergangenen Jahren sehr gestiegen, so dass wir sogar eine zusätzliche Gruppe aufmachen konnten“, freut sich Wibke über den Zuwachs bei den „Waldkindern Breitenbach“.
Wo ist eigentlich vorne beim Regenwurm?
Heute werden 38 Kinder in drei Gruppen in Breitenbach ganztags betreut. Die ganz kleinen zwei– und dreijährigen „Raupen“ werden langsam an das Draußensein gewöhnt. Daher führt sie ihr Weg vom Kindergartenhaus nicht zu weit weg. In der Natur unterwegs sind sie trotzdem an jedem Tag. Die altersgemischten „Käfer“ und „Ameisen“ sind da schon längeres Draußensein und größere Strecken gewohnt. Sie freuen sich, dass es endlich los geht.
Sie wuseln durcheinander, ziehen Stiefel, Mützen und Jacken an und sammeln sich ungeduldig an der Haustür. In Zweierreihen geht es los, erst ein kleines Stück durch den Ort, später dann bergauf in den Wald. Arthur und Erzieherin Sabine Lahr finden einen Regenwurm auf der asphaltierten Straße und beschließen, dass sie diesen hier nicht liegen lassen können. Sabine gibt Arthur den Wurm vorsichtig in die Hand und erklärt: „Den nehmen wir ein Stück mit, dorthin wo es wieder Erde gibt. Hier auf dem Asphalt kann er sich ja nicht einbuddeln.“ Das gibt Arthur die Möglichkeit, sich den Regenwurm genauer anzusehen. „Guck mal, wo ist hier eigentlich vorne und wo ist hinten?“, fragt er. „Ach, ich weiß schon. Hier, wo es so dick ist, da ist vorne. Da frisst der die Blätter. Und hier hinten kommen sie wieder raus. Dann kann man Blumen pflanzen in der Erde“, freut er sich und fordert nun alle „Waldkinder“ in der Gruppe auf, seinen Regenwurm einmal ganz vorsichtig zu streicheln. Endlich kann er ihn wieder frei lassen und auf die Erde setzen. Er schaut noch einmal kurz zurück als sich die anderen Kinder schon weiter auf den Weg gemacht haben in Richtung Waldplatz.
Spielen in und mit der Natur
Der Waldplatz ist der zentrale Punkt der „Breitenbacher Waldkinder“. Hier stehen ihre Material– und Schutzhütte, das Weidentippi, eine Feuerstelle, die Holzwerkstatt und die Hochbeete. Nach einem kurzen Lied zur Begrüßung auf dem Waldplatz darf sich Anna Lena heute aussuchen, wo gespielt werden soll. Jedes Kind ist einmal „Kind des Tages“. Dieses darf die Gruppe auf den Weg in den Wald an dem Tag anführen und beschließen, wo gespielt werden soll. Die Entscheidung fällt leicht. Anna Lena bestimmt das Weidentippi als zentralen Punkt, denn „dort kommt die Sonne zuerst hin hier auf dem Waldplatz“, erklärt sie ihren Entschluss und flitzt los in Richtung Tippi. Sabine holt noch ein paar Sachen aus der Materialhütte. Neben der Freispielzeit gibt es trotzdem einige Angebote wie Schnitzen, eine Schaukel oder eine Strickleiter auf Nachfrage. „Schnitzen ist besonders beliebt. Ich bin selbst immer wieder verwundert, wie schnell und gut das funktioniert“, sagt sie und hängt dabei die Strickleiter in den Baum. Sofort ist Arthur da und versucht, mit seinen kurzen Beinen die vier Stufen zu erklimmen.
Im Freispiel kann sich die Fantasie des Kindes im Spiel mit der Natur und ohne vorgefertigte Materialien frei entfalten.
„Freispiel empfinde ich als besonders wichtig. Natürlich machen wir auch Projekte mit den Kindern, aber im Freispiel kann sich die Fantasie des Kindes im Spiel mit der Natur und ohne vorgefertigte Materialien frei entfalten. Bedeutungen sind noch nicht vorgegeben. Da entstehen die schönsten Spielsituationen“, beschreibt Sabine die Szene. Sie ist über die Arbeit im Bereich der Waldorfpädagogik zum Waldkindergarten gekommen. „Die Arbeit im Waldorfkindergarten hat mich geprägt, aber auch meine eigene Kindheit in der Natur. Der Waldkindergarten ist für mich die beste Verbindung zwischen beiden Elementen“, beschreibt sie ihren beruflichen Weg in den Waldkindergarten Breitenbach.
Zwergenalarm in Breitenbach
„Sabine, wir haben gerade einen Zwerg gesehen!“ Aufgeregt kommen Johanna und Mara den steilen Berg hinauf gelaufen. Ganz außer Atem beschreiben sie Sabine, wie er ausgesehen hat: „Ganz klein war der, mit einer roten Mütze und einem grünen Mantel!“ Schon sind die beiden Mädchen wieder verschwunden und rutschen den Berg hinunter. Die Fantasie treibt sie an. „Da sind noch zwei“, hört man es von unten hinaufrufen. Nun sind auch die Jungs nicht mehr zu halten und sie gehen gemeinsam mit den Mädchen auf Zwergensuche. Immer mehr Zwergenfunde werden gezählt. Nur Arthur kommt mit hängendem Kopf wieder nach oben und ist traurig. „Ich hab´ keinen Zwerg gesehen“, erklärt er enttäuscht. „Wollen wir mal zusammen nachschauen gehen?“, fragt Sabine und nimmt Arthur an die Hand. „Ich habe gehört, hier gibt es ein ganzes Zwergendorf, da finden wir bestimmt auch einen für dich“, versucht Sabine den kleinen Jungen aufzumuntern. Das ist aber gar nicht mehr nötig, denn Arthur ist schon wieder im Zwergen-Suchmodus. Am Ende ist auch er glücklich und kann berichten, wie gerade ein Zwerg hinter einem Baum hervor geschaut und ihm zugezwinkert hat.
Die Kleineren sind sehr viel damit beschäftigt zu balancieren, zu klettern und kleinere Dinge zu entdecken. Während die Großen schon viel mehr eigene Geschichten erfinden und größere Reichweiten erforschen.
Mit dem Alter wächst auch der Entdeckergeist
Und auch in der Käfergruppe ist so einiges los. Matilda versucht mit aller Kraft, auf den großen umgefallenen Baumstamm zu klettern, um darauf zu balancieren. Der Stamm ist fast so dick wie Matilda groß ist und deshalb ist viel Anstrengung nötig. Am Ende schafft sie es aber doch.
Fabian widmet sich währenddessen dem Auffädeln von Blättern zu einer bunten Blätterkette. Er ist ganz konzentriert bei seiner Arbeit und nimmt sich Blatt für Blatt vom Boden. Hinter ihm hört man die Zwillinge Leopold und Franz, die zusammen mit Matthes auf ihrem Po immer wieder den Hang hinunter rutschen. „Es ist ganz spannend zu sehen, wie unterschiedlich sich die Kinder im freien Spiel beschäftigen. Die Kleineren sind sehr viel damit beschäftigt zu balancieren, zu klettern und kleinere Dinge zu entdecken. Während die Großen schon viel mehr eigene Geschichten erfinden und größere Reichweiten erforschen“, beschreibt Erzieherin Doreen Blum die Entwicklungsunterschiede in den Altersgruppen. Was aber in allen Gruppen gleich ist, ist die Aufregung, wenn ein Tier gesichtet wird. Matthes ruft laut vom Hang herunter: „Da steht ein Reh! Schnell komm mal, da steht ein Reh!“ Alle Kinder laufen so schnell sie können den Hang hinauf. Und tatsächlich, dort steht ein Reh – nein, sogar fünf Rehe stehen da.
Tiere sind jedes Mal wieder spannend für die Kinder.
„Das ist das Wildgehege eines Jägers hier aus Breitenbach“, erklärt Doreen. Das Gehege liegt direkt hinter dem Waldplatz des Waldkindergartens. „Tiere sind jedes Mal wieder spannend für die Kinder und so viele auf einmal haben wir dort noch nicht gesehen“. Doreen und die Kinder staunen. Nur, dass sie bei Tierbeobachtungen leise sein sollten, vergessen die „Käfer“ immer und so verschwinden die Rehe genauso schnell, wie sie gekommen waren.
Kontakt
Waldkinder Breitenbach
Christeser Str. 17
98574 Schmalkalden
www.waldkinder.schmalkalden.de