Waldrapp-Wilderei
GPS-Sender mit künstlicher Intelligenz können helfen, Täter zu fassen
Die Waldrappe brüten wieder in Deutschland und Österreich. 51 der vom Aussterben bedrohten Ibisvögel haben sicher die mehr als 800 Flugkilometer lange Strecke aus ihrem Winterquartier in Italien gemeistert. Über 30 Eier liegen bereits in den Nestern in ihren Brutgebieten im baden-württembergischen Überlingen am Bodensee, in Burghausen in Bayern sowie in Kuchl und Rosegg in Österreich.
In Überlingen haben einige Tiere erstmals eine natürliche Felsnische als Nistplatz angenommen – ein besonderer Erfolg der Artenschützer des Fördervereins Waldrappteam. Denn es zeigt, dass diese Vogel-Generation bereits ohne menschliche Fürsorge zurechtkommt, während ein Teil der vorherigen Generation noch auf Menschen angewiesen war. Die ersten Jungvögel sind bereits geschlüpft. Aber einige Waldrappe – die übrigens alle einen Namen tragen – werden von den Betreuerinnen und Betreuern des Fördervereins Waldrappteam und von ihren Artgenossen, denn Waldrappe sind sehr soziale Vögel, schmerzlich vermisst. Sie wurden – manche mutmaßlich, manche nachweislich – illegal getötet.
Einer von ihnen war das Waldrappmännchen Enea aus der Überlinger Kolonie: Enea starb im März in Italien auf dem Rückflug zu seinem Brutplatz in der Schweiz. Alle Hinweise deuten darauf hin, dass er abgeschossen wurde. Auch Waldrappmännchen Eugen, Diego und Lenz wurden in Italien getötet. Das wissen die Forscher, weil sie einen Großteil der Tiere per GPS-Sender auf ihrer Reise begleiten. Rund 80 Prozent aller Waldrappe des Fördervereins Waldrappteam tragen mittlerweile High-Tech-GPS-Sender auf ihren Rücken. Die Sender übertragen die Positionen der Vögel in Echtzeit in eine Datenbank; Standort, Flugdaten wie Höhe und Geschwindigkeit, sowie die räumliche Ausrichtung können so regelmäßig abgerufen werden. „GPS ist eines der wichtigsten Instrumente, um die Flugroute der Vögel zu verfolgen und vielleicht so auch Vogeljägern künftig besser auf die Spur zu kommen“, sagt Prof. Klaus Hackländer, Vorstand der Deutschen Wildtier Stiftung. Die Stiftung unterstützt das Waldrappteam durch den Kauf von GPS-Sendern.
Übermittelt ein GPS-Sender verdächtige Daten, etwa eine ungewöhnliche Position der Körperachse des Waldrapps, deutet dies darauf hin, dass ein Vogel nicht fliegt oder aufrecht steht, sondern liegt. „Sollten wir merken, dass ein Waldrapp offensichtlich gestorben ist, rufen wir immer die örtliche Polizei und fragen, ob sie den Körper holen können. Nur durch die Polizei können wir einen Kriminalfall verfolgen“, sagt Laura Stefani vom Förderverein Waldrappteam. Es kommt vor, dass die Beamten die Vögel auf Wiesen oder Feldern finden – mit Schrotkugeln in ihren Körpern. Manchmal zeigt der GPS-Sender als letzten Standort die Garage des Täters an. Wenn dieser aber alles abstreitet, liegt die Beweislast bei den Wissenschaftlern. Ein mühsames und oft frustrierendes Geschäft: „Die Täter kamen bislang fast immer davon. In den vergangenen zwölf Jahren haben wir 52 illegale Abschüsse nachweisen können – aber nur ein Wilderer wurde verurteilt“, sagt Stefani.
In Italien hat die illegale Jagd auf Vögel eine lange Tradition. Hotspots liegen in Apulien, Sizilien, Sardinien, an der südlichen tyrrhenischen Küste, im Po-Delta und in den Tälern von Brescia in der Lombardei. „In diesen Gebieten treten 43 Prozent der Fälle auf. Die Abschüsse der Waldrappe sind nur die Spitze des Eisbergs: Bis zu 6 Millionen Vögel, darunter auch Greifvögel oder Störche, werden jedes Jahr in Italien illegal getötet, festgehalten oder gefangen“, so Stefani. Oft werden die Vögel nach dem Abschuss einfach auf einem Feld oder in den Bergen liegen gelassen.
Immerhin: Die technischen Hilfsmittel, die den Artenschützern helfen, der illegalen Tötung geschützter Tiere Grenzen zu setzen, werden immer besser. Das berichteten Experten, die sich kürzlich auf einem Symposium zu Maßnahmen gegen illegale Vogeljagd in Verona, in Norditalien trafen. Es war Teil des Europäischen Projektes LIFE Northern Bald Ibis (LIFE20 NAT/AT/000049 – LIFE NBI). Künftig könnten GPS-Sender mit künstlicher Intelligenz und neuer Technologie bei der Aufklärung helfen. „Würde man beispielsweise einen Sender mit winzigen Kameras oder Mikrofonen ausstatten, die sich automatisch einschalten, sobald ein Vogel in eine gefährliche Situation gerät, könnten Vogeljäger nach einer Tat schneller identifiziert werden“, sagt Laura Stefani. „Neben moderner Technik müssen aber auch die rechtlichen Rahmenbedingungen verbessert werden, um die Wildtierkriminalität strafrechtlich zu verfolgen", so die Waldrappschützerin. „Jedes Jahr wird darum von uns ein Bericht zur illegalen Tötung der Waldrappe an die italienischen Behörden geschickt, in dem wir dringend um Unterstützung und Zusammenarbeit im Kampf gegen die illegalen Abschüsse bitten.“ Die Artenschützerin weiß: Nur gemeinsam mit den italienischen Behörden und durch die Aufklärung der italienischen Bevölkerung kann es gelingen, den seltenen Waldrapp zu schützen und die wertvolle Arbeit des Waldrappteams zu unterstützen.
Der Fall GoJa
Waldrappweibchen GoJa: Was ist passiert?
GoJa war ein Waldrappküken, das 2009 im bayerischen Burghausen von Artenschützern des Waldrappteams von Hand aufgezogen wurde. Als GoJa ein Jungvogel war, zeigten ihre beiden menschlichen Bezugspersonen ihr und zehn weiteren Schützlingen die Flugroute über die Alpen ins toskanische Winterquartier auf spektakuläre Weise: Sie flogen ihnen in zwei Ultraleichtflugzeug voraus, die Jungvögel folgten ihnen. Zwei Jahre später flog GoJa den Weg nach Burghausen allein zurück – ein Meilenstein für den Artenschutz: Nach 400 Jahren, in denen kein wilder Waldrapp mehr in Deutschland zu finden war, war GoJa der erste Ibisvogel, der es geschafft hatte, selbständig die Alpen zu überfliegen, um sein Brutgebiet zu erreichen. Jetzt konnte GoJa anderen Jungvögeln den Weg ins Winterquartier zeigen und es brauchte dafür keine Menschen mehr. Auch im darauffolgenden Frühjahr 2012 kehrte GoJa wieder nach Burghausen zurück. Sie zog mit einem Partner zwei Jungvögel auf und leitete sie im Herbst in die Toskana. Aber kurz bevor die drei Vögel das Wintergebiet erreichten, an der Küste bei Livorno, passierte es: Zwei Schüsse knallten, GoJa und ihr Jungvogel Jedi stürzten schwer verletzt zu Boden. Dank des GPS-Senders, den GoJa am Rücken trug und der regelmäßig den aktuellen Standort übermittelte, traf eine Projektmitarbeiterin, die GoJa im Auto hinterhergefahren war, nur Minuten nach dem Abschuss am Tatort ein. Sie fand GoJa noch lebend, aber der Vogel starb in ihren Armen. Die Artenschützerin alarmierte die Polizei und zeigte den Täter an. Er war Mitglied des größten Italienischen Jagdverbandes und Inhaber einer gültigen Jagdlizenz. Der Schütze wurde zu einer Geldstrafe verurteilt und musste den Jagdschein abgeben. Nach ihm wurde bis heute kein Waldrapp-Wilderer mehr verurteilt.