Wo steckt Luchs Luna?
Das Patenkind der Deutschen Wildtier Stiftung ist im Pfälzerwald verschollen. Noch wissen die Biologen nicht, was mit der Luchsin geschehen ist.
Ein EU LIFE Projekt zur Wiederansiedlung des Luchses im Biosphärenreservat Pfälzerwald - worum geht es da in erster Linie?
"Wenn wir in Deutschland vom Luchs sprechen, dann meinen wir damit den Eurasischen Luchs. Vor rund 200 Jahren war dieser in Deutschland noch heimisch. Nach und nach wurde der Luchs aber durch die Menschen aus seinem natürlichen Lebensraum verdrängt. Restbestände überlebten in den Karpaten.
Jahrzehntelang wurde Jagd auf ihn gemacht – solange, bis der Luchsbestand immer weiter in sich zusammenbrach. Luchse nehmen als Beutegreifer aber eine wichtige Rolle im Ökosystem Wald ein. Beispielsweise in der Nahrungskette: Reißt der Luchs seine Beute hilft er deren Bestände zu regulieren. Zudem sind Reste der Beutetiere als Aas eine wichtige Futterquelle für Greifvögel und spezialisierte Insekten, wie Aaskäfer. Auch Wildkatzen profitieren von den Beuteresten des Luchses; gerade im Winter, wenn Mäuse durch hohe Schneelagen nur schwer zu erreichen sind. Im Rahmen des EU Life Projektes für die Luchse im Pfälzerwald soll ein ehemaliger Lebensraum zurückgewonnen werden. Die drei Luchse Kaja, Luna und Lucky aus der Slowakei sind dort der Anfang für eine neue Luchspopulation.
Aktuell beobachtet das gesamte Projektteam mit großer Spannung das Verhalten von Lucky und Kaja mit Hilfe der GPS-Daten der Sendehalsbänder: Wird es bald Nachwuchs geben?"
Wie funktioniert das Ablesen und Auswerten der GPS-Datenhalsbänder, die die Luchse tragen?
"Die Luchse, die im Pfälzerwald angesiedelt werden, stammen aus der Slowakei. Dort werden sie aus stabilen und wilden Beständen herausgefangen. Die Tiere werden vorsichtig betäubt und dann tierärztlich untersucht. Anschließend bekommt jeder Luchs ein speziell für frei lebende Luchse entwickeltes GPS-Sendehalsband angelegt.
Mit Hilfe der Sender kann genau beobachtet werden, wie erfolgreich die Ansiedlung in einem neuen Lebensraum verläuft. So kann dokumentiert werden, ob sich die Tiere im Pfälzerwald zurechtfinden und ob sie regelmäßig aufgesuchte Streifgebiete besetzen. Oder ob sie orientierungslos durch die Gegend oder sogar wieder gen Heimat wandern. Die speziellen Senderhalsbänder schicken gespeicherte GPS-Lokalisationen in regelmäßigen Abständen über das Mobilfunknetz an eine Bodenstation. Von hier aus gehen die Datenpakete als E-Mail direkt an die Wildbiologen."
Nun gibt es ja von Kaja und Lucky ausreichendes GPS-Datenmaterial, von Luna aber nicht ...?
"Luna hatte sich, wie die anderen beiden auch, scheinbar recht wohl gefühlt in ihrem neuen Lebensraum. So musste man zumindest die GPS-Lokalisationen von ihr interpretieren. Meist hielt sie sich gar nicht so weit entfernt von ihrem Freilassungsort bei Kaiserslautern auf und nutzte dabei einen für ein Luchsweibchen typischen Aktionsraum. Dort hat sie Rehe erbeutet und regelmäßig unterschiedliche Schlafplätze für die Tagesruhe aufgesucht. Alles ein ganz normales artgerechtes Verhalten. Alles schien gut."
Seit wann haben die Biologen jetzt nichts mehr von Luna vernommen? In welcher Art und Weise kann überhaupt nach ihr gesucht werden?
"Die Luchsforscher bekommen seit Jahresende 2016 keine Daten mehr von Luna übermittelt, was viele unterschiedliche Gründe haben kann. Jetzt können wir nur spekulieren: Wäre beispielsweise das GPS-Modul oder die GSM-Einheit des Luchshalsbandes zum Verschicken der Daten defekt, ließe sich der Halsbandsender immer noch über ein Funksignal suchen.
Dies haben die Projektmitarbeiter bereits über Wochen hinweg getan, bisher leider ohne den gewünschten Erfolg. Auch wurden eine Reihe automatischer Kameras - sogenannte Fotofallen - an all den Orten installiert, die Luna bis dahin schon mehrmals aufgesucht hatte. In der Hoffnung, sie würde dorthin zurückkehren und sich blicken lassen."
Der Wald ist kein Versuchslabor, in dem alles planbar ist
Von Februar bis März ist die Ranzzeit der Luchse. Kann es denn sein, dass Luna den Pfälzerwald Richtung französischer Vogesen verlassen hat, um dort nach einem Männchen Ausschau zu halten?
"Selbst wenn – die Daten würden uns erreichen! Wir telefonieren ja auch im europäischen Ausland ohne Einschränkungen und Luna ,nutzt' dasselbe Mobilfunk-Netz wie wir Menschen."
Was also kommt im schlimmsten Fall in Betracht?
"Die Möglichkeiten sind einzugrenzen: Entweder haben wir es mit einem Totalausfall von Lunas Sender zu tun – dann sollte sie aber irgendwann auf den Fotofallen auftauchen. Wir müssen aber leider auch damit rechnen, dass sie in einem Gebiet verendet ist, in dem kein Mobilfunk-Empfang existiert. Dies könnte beispielsweise eine Felshöhle sein, in der in der Regel kein Empfang vorliegt - in die sich ein Luchs aber verkriecht. Im schlimmsten Fall wurde Lunas Sendehalsband zerstört, was kaum ohne eine Beeinträchtigung des Luchses selbst vorstellbar ist.
Bei Straßenverkehrsopfern bleiben die recht robusten Halsbandsender häufig unbeschadet – bei illegalen Tötungen dagegen nie! Fälle von - durch Geschosse oder Gift - getöteten Luchsen sind uns in höherer Anzahl aus dem Wiederansiedlungsprojekt im Bayrischen Wald und vereinzelt auch aus dem Harz bekannt. Natürlich versuchen die Straftäter jegliche Spuren zu verwischen und zerstören den Sender. Diese Möglichkeit ziehen wir als erfahrene Wildbiologen durchaus in Betracht, so schlimm die Vorstellung auch ist. "
Wie geht das Projekt jetzt weiter – ohne Luna?
"Die Arbeit in der Natur ist immer mit Risiken und Unberechenbarem verbunden – der Wald ist kein Versuchslabor, in dem alles planbar ist und Risiken bereits im Vorfeld ausgeschlossen sind. Es gibt immer Überraschungen bei unserer Arbeit im Wald, positive wie negative. Wir müssen solche Verluste einkalkulieren, auch wenn wir eventuell niemals erfahren werden, welches Schicksal Luna ereilt hat!
Ein kleiner Trost ist, dass noch viele weitere Luchse aus der Slowakei und der Schweiz diesen drei ersten Luchsen in den Pfälzerwald folgen werden. So kann schon in diesem Jahr mit einem - wenn man so will - Ersatz für Luna gerechnet werden. Ihr Aktionsraum wird mit Sicherheit von einem neuen Ankömmling in Anspruch genommen, der sich hoffentlich genauso wohl fühlt, wie Luna vor ihrem Verschwinden. Mit viel Glück werden zudem bereits in diesem Jahr die ersten Jungluchse im Pfälzerwald geboren – das wäre ein toller Erfolg des Projektes."
Fotos: Martin Greve