„Ich will das Herz des Zuschauers öffnen“

Jan Haft

Jan Haft filmt Moschusochsen
Er ist einer der bekanntesten Tier- und Naturfilmer Deutschlands. Wir sprachen mit Jan Haft über seinen spannenden Beruf und über die Bedeutung des Mediums Film für die Naturbildung und den Naturschutz.

Sie sollen als Kind zuhause einen regelrechten Privatzoo eingerichtet haben. Wie kam es zu Ihrem Interesse an Tieren?

„Privatzoo“ ist etwas hochgegriffen. Ich hatte viele Terrarien und Gurkengläser mit Insekten, Raupen und anderen Tieren, weil ich einfach ein Tierfreak war und ein glühender Naturschützer. Das ging schon mit sechs, sieben, acht Jahren los, das Interesse wurde dann immer größer. Woher das kam, weiß niemand, meine Eltern sind Physiker und Lehrer. Als ich beim Pilze sammeln mit den Eltern Waldeidechsen entdeckte, fand ich das furchtbar spannend und ich begann, mich intensiver damit zu beschäftigen. Und dann hatte ich halt irgendwann daheim diese ganzen leuchtenden Glaskästen, in denen sich phantastische Welten verbargen, Kostbarkeiten, die ich hegte und pflegte.

Wenn man anfängt, Tierfilme zu machen, hat man die Hoffnung, dass man die Welt retten kann.“

Haben Sie als Kind denn viel im Grünen gespielt? Welche Rolle hatte die eigene Naturerfahrung für Ihr Naturinteresse?

Heute können viele Kinder diese Erfahrungen nicht machen. Damals waren Eltern lockerer. Wir, also auch meine Freunde und Klassenkameraden, sind nach den Hausaufgaben raus und dann waren wir einfach unterwegs. Mein Glück war natürlich, dass ich nicht in der Stadt aufgewachsen bin, sondern in einem Dorf im Speckgürtel Münchens. Da gab es einen Bauernhof, Felder, Wiesen und Wald. Man konnte Räuber und Gendarm spielen, sich austoben, Hütten bauen und nach Tieren suchen. Ich musste ja auch jeden Tag Futter besorgen für meine Tiere. Da bin ich also immer auf „meine“ Heuschreckenwiese gegangen und habe Insekten gefangen und dabei wiederum viele andere interessante Tiere entdeckt. Es ist ja nicht nur in der Zoologie so: Wenn man in ein Thema richtig einsteigt, dann stellt man schnell fest, dass sich mit jeder Frage, die man beantwortet bekommt, dutzende neue Fragen auftun.

Jan Haft

Viele Tiere wird man selbst in der freien Natur niemals sehen, sie sind nur durch Zoos und Tierfilme für uns zugänglich. Welchen Bildungsanspruch haben Naturfilme?

Wenn man anfängt, Tierfilme zu machen, hat man die Hoffnung, dass man die Welt retten kann. Von diesem Gedanken verabschiedet man sich üblicherweise dann wieder. Aber ich hoffe schon, dass Menschen, die Naturfilme schauen, das als Anstoß nehmen, selbst aktiv zu werden, sei es, dass man sich politisch engagiert, oder dass man auch einfach nur rausgeht in die Natur und seine Spaziergänge anders gestaltet. Es ist doch toll, wenn man nicht nur denkt: „Oh, das ist ja alles so schön grün hier“, sondern wenn man genauer hinguckt und sich zum Beispiel beim Anblick einer Streuobstwiese mit einem Tümpel fragt, ob da vielleicht Laubfrösche drin sind, und wenn man nachguckt und keine drin sind, sich fragt, warum das wohl so ist. Es braucht mehr Menschen, die sich für Ökologie interessieren, denn es liegt jetzt schon einiges im Argen. Viele Tiergruppen brechen derzeit dramatisch ein in ihrem Bestand. In den letzten 30, 40 Jahren hat sich da vieles zum Negativen gewendet, vor allem durch die immer intensiver werdende Landwirtschaft.

Was würden Sie jemandem antworten, der sagt, die Kinder sollen nicht vor der Glotze hocken und Ihre Filme gucken, sondern besser raus in den Wald gehen?

Das würde ich unterstreichen. Im Prinzip. Wenn die den ganzen Tag meine und andere Filme gucken würden, wäre das schädlich. Aber so ist es ja nicht. Es gibt auch Kinder, die wachsen ganz ohne Fernsehen auf - das ist besser als mit zu viel Fernsehen. Aber zum normalen Alltag von Kindern gehört Fernsehen doch dazu, und wenn Eltern darauf achten, dass da auch mal Tier- und Naturfilme dabei sind, ist das sicherlich sinnvoll, denn die haben ja einen bildenden Charakter.

Über Jan Haft

Jan Haft (47) lebt mit seiner Frau Melanie und seinen drei Kindern im bayerischen Isental, das er mit der mehrfach ausgezeichneten Dokumentation „Mein Isental“ bekannt gemacht hat. Gemeinsam haben sie die eigene Firma Nautilusfilm zum größten deutschen Naturfilmunternehmen aufgebaut. Nautilus-Filme erhielten 173 Preise, darunter mehrfach die Naturfilm-Oscars, den britischen Wildscreen-Preis und den des großen amerikanischen Jackson Hole Wildlife Film Festivals.

Im NDR hieß es über Ihren Film „Mythos Wald“: „So lebendig, so mystisch wie bei Jan Haft hat man den Wald noch nie gesehen. Es ist ein Ort voller großer und kleiner Wunder ...“ Welcher Aspekt ist für einen Naturfilm wichtiger, der dokumentarische, der möglichst viel Wissen vermittelt, oder der emotionale, der Empathie und Faszination auslöst?

Das ist wie bei einem Essen, das sollte warm sein UND gut schmecken. Das Eine ganz ohne das Andere ist nicht sinnvoll, über die Gewichtung kann man streiten. Ich persönlich finde, dass die Ästhetik eine sehr große Rolle spielt. Hingucker einzubauen, die die Zuschauer bei der Stange halten, ist wichtig. Nur dann habe ich eine Chance, ihnen auch die Botschaft zu vermitteln, um die es mir geht. Letztendlich will ich ihr Herz öffnen für Tiere und Natur.

Wenn Sie einen Film drehen, haben Sie dann eine Zielgruppe im Auge und welche ist das?

Es gibt eine realistische Zielgruppe und eine Wunschzielgruppe. Die realistische sind die älteren Mitbürger über 65 Jahre. Die mag ich gerne, das ist eine Bank und die werden ja auch nicht weniger, wie man weiß. Die Wunschzielgruppe sind natürlich Jugendliche. Jeder, der irgendetwas mit Bildung zu tun hat, möchte die erreichen. Es scheint so zu sein, dass man Jugendliche besser kriegt, wenn die Filme technisch anspruchsvoller gemacht sind, mit Zeitraffern, Zeitlupen und anderen Effekten, die die Natur nicht verfälscht wiedergeben, sondern sie teilweise erst sichtbar machen. Die Älteren neigen eher dazu, ganz kontemplativ und zurückgelehnt und mit viel Muße dem Naturgeschehen im Film beizuwohnen.

Wir haben festgestellt, dass der Zuschauer sehr viel stärker reagiert, wenn er einen Lebensraum im Fernsehen sieht, den er kennt, weil er dort zum Beispiel spazieren geht.

Muss man für Kinder und Jugendliche spezielle Filme machen oder kann man in einem Film alle Zielgruppen ansprechen?

Naturfilme im Kinderfernsehen sind natürlich etwas anders gestrickt hinsichtlich des Erzählstils und der Bildfolge. Aber es gibt ja diesen Begriff „Familienprogramm“, Naturfilme sind genau das. Da kann man den Fünfjährigen genauso davorsetzen wie den 95-jährigen und keiner kriegt ein Trauma.

Häufig bevorzugen Naturfilmer exotische Gegenden als Schaupatz. Sie haben viele ihrer Filme mitten in Deutschland gedreht – in der Blumenwiese, im Kornfeld, im Wald. Kann das, was man schon kennt oder zu kennen meint, wirklich genauso faszinieren wie die ferne Exotik?

Sogar mehr, wie wir im Laufe der Zeit festgestellt haben. Wir haben ja auch in Australien, in der Südsee, in Guyana, in Kenia und Thailand gedreht. Das ist natürlich toll für einen Naturfilmer, in diese fremden Welten einzutauchen, das macht auch Spaß. Aber wir haben festgestellt, dass der Zuschauer sehr viel stärker reagiert, wenn er einen Lebensraum im Fernsehen sieht, den er kennt, weil er dort zum Beispiel spazieren geht, und dann zeigt man ihm dort Dinge, die er zumindest so noch nie gesehen hat. Das haben Heinz Sielmann und andere Tierfilmer auch schon so gemacht. Aber im Unterschied zu denen damals können wir ganz neue Techniken einsetzen. Heute haben wir Zeitlupen, extreme Objektive und Mikroskope, damit kann man irre Aufnahmen machen.

Mich interessiert der ganzheitliche Ansatz, zu zeigen, wie in einem Lebensraum alles zueinander gehört.

Besonders beliebte Darsteller in Tierfilmen sind große Säuger: Löwen, Giraffen, Elefanten, Antilopen, Grizzlybären, Elche... Sie widmen sich oft auch ganz kleinen Tierchen: Hirschkäfer, Feldgrillen. Das erste, was Sie gefilmt haben, waren Urzeitkrebse.

Das ist die Welt des Unentdeckten und des Ungezeigten, eine ganz eigene Welt, die man sich da erschließen kann. Wenn man das mit dramaturgischen Mitteln, die man aus Spielfilmen kennt, in Szene setzt, und zeigt, was das alles für großartige kleine Kerlchen sind, dann kann der Zuschauer Partei ergreifen auch für so einen kleinen Wicht, der am Gartenzaun lebt oder in einer Streuobstwiese. Das darf durchaus trickreich sein und natürlich garnieren wir unsere Filme auch mit den beliebten Kuscheltieren. Die mag ich selbst ja auch. Auch ich bin natürlich geneigt, ein Eichhörnchenbaby mit anderen Augen zu betrachten als eine Kellerassel. Aber mich interessiert der ganzheitliche Ansatz, zu zeigen, wie in einem Lebensraum alles zueinander gehört, und das lässt sich im Film sehr gut transportieren und eben auch sehr gut am Beispiel kleiner Lebewesen aus unserer direkten Umgebung.

Jan Haft am Blomstrandgletscher

Sie haben eine eigene Filmfirma gegründet, Nautilusfilm, war das nötig? Wie ist es um den Naturfilm in Deutschland bestellt?

Das gute am deutschen Fernsehmarkt ist, dass wir einer der größten der Welt sind. In Deutschland wird viel produziert. Es gibt ja jede Menge Länder, die überhaupt keine Tierfilme herstellen. Tierfilme sind zwar nicht so teuer wie Shows und Soaps, aber auch sie kosten Geld und viele Sender können oder wollen sich das nicht leisten.

Warum sind Naturfilme so teuer? Die Darsteller wollen keine Gage, die Kulissen stehen schon in der Gegend herum ...

Man arbeitet zuweilen zwei Jahre an einem guten Film und da sind ja mehrere Menschen beteiligt die ganze Zeit, mindestens zwei Kameraleute und ein Assistent, dann kommen die Cutter dazu, Musik muss komponiert, eine Farbkorrektur gemacht werden. Und man muss auch erst mal die Ausrüstung kaufen. Die Technik ist super, aber unglaublich teuer und kurzlebig, nach ein paar Jahren ist sie schon wieder veraltet. Wir waren vor mehr als zehn Jahren die ersten deutschen Tierfilmer, die auf HD gedreht haben, die Kamera hat damals eine kleine sechsstellige Summe gekostet, jetzt steht sie hier wertlos herum und verstaubt. Und auch wenn die Darsteller selbst nichts bekommen, ist man auf Unterstützung anwiesen, von Förstern, Naturschützern, denen man dann auch mitunter etwas spendet. Vor allem aber sind es am Ende in der Regel immer doppelt so viele Drehtage wie die 100 bis 150, die man kalkuliert hat und die im Vertrag stehen.

Filme von Jan Haft

Einige der prämierten Werke von Jan Haft: „Die Geschichte der Blumenwiese“, „Wilde Türkei“, „Mein Isental“, „Mythos Wald“, „Das Kornfeld“, „Wildes Skandinavien – Norwegen“, „Das Grüne Wunder“. Zuletzt konnte man von ihm die Dokumentation „Great Smoky Mountains“ im Fernsehen sehen. Am 24. September kommt der Film „Magie der Moore“ bundesweit in die Kinos.

Sie drehen ja auch fürs Kino ...

Ja, am 24. September läuft unser zweiter Kinofilm bundesweit an, „Magie der Moore“ wird er heißen. Unser Film über den Wald, „Das grüne Wunder“, war sehr erfolgreich. Das hat mich überrascht aber natürlich auch sehr gefreut.

Ich stelle mir den Beruf des Naturfilmers einerseits sehr spannend vor, man sieht viel von der Welt, beobachtet Tiere, die sonst kaum jemand mit eigenen Augen sehen wird – andererseits steckt man die Hälfte der Zeit in irgendeinem Tarnversteck und dreht Däumchen. Ist das ein realistisches Bild?

Weniger als man landläufig meint. Wir sitzen ja auch viel im Büro, arbeiten an Texten, recherchieren und telefonieren, oder sitzen im Auto und warten auf das richtige Wetter. Aber natürlich hockt man auch oft im Tarnzelt. Zum Beispiel beim Auerhahn geht man am frühen Nachmittag rein ins Tarnzelt, am späten Nachmittag kommen die Auerhähne angeflogen und sitzen oben in den Bäumen und warten bis zum nächsten Morgen, um dann runterzufliegen und zu balzen. Das heißt, wenn ich das filmen will, muss ich 16 Stunden im Tarnzelt sitzen und warten.

Kämpfende Hirschkäfer

Was macht man, während man wartet? Wie vergeht die Zeit?

Ich bin eigentlich ein ziemlich hektischer und wenig ausgeglichener Mensch, so dass mir das nicht unbedingt zupass kommt. Aber wenn man da drin hockt, kommt man total runter. Man erledigt Dinge mit seinem leise gestellten Smartphone, schreibt E-Mails, liest, beschäftigt sich mit dem Drehbuch. Oder man hat zum Beispiel einen Vogelführer dabei und macht sich Gedanken über die Viecher, die man draußen sieht. Ja, und dann wartet man eben auf diesen einen Moment und ist total fokussiert und die Anspannung ist riesig, weil der Dreh sollte dann ja auch gelingen angesichts des hohen Aufwands. Die Zeit vergeht dann doch viel schneller, als man meinen würde. Ich habe noch nie von einem Kollegen gehört, dass er es nicht mehr aushält, weil es so öde ist.

Sie leben auch heute noch mit vielen Tieren zusammen?

Ja, ein paar Sachen sind aus der Kindheit geblieben. Es gibt ein Terrarium mit kleinen Fröschchen, wir haben drei Hasen und einen Fuchs, den wir mit der Flasche aufgezogen haben, dann Ponys, zwei Esel und so weiter. Nicht so exotisch, aber wir leben auf dem Land und haben etwas Platz. Wir haben ein paar Hektar Feuchtwiesen, die wir extra für Schmetterlinge gestalten, eine Heuwiese für die Pferde und versuchen, möglichst viele Tiere und Pflanzen gedeihen zu lassen und anzulocken, die wir dann mitunter auch im eigenen Garten filmen können.

Welches Tier würden Sie am liebsten einmal vor die Kamera bekommen?

Den Schneckenkanker. Das ist ein Riesenweberknecht, ein Eiszeitrelikt. Den gibt es im Taunus, im Bayerischen Wald, in den Alpen und anderswo, er ist aber unglaublich selten und kommt nur ganz selten an die Oberfläche. Den habe ich schon mehrfach gesucht, aber nie gefunden. Ein wahres Phantom. Dieses Viech will ich unbedingt mal sehen und vor allem auch filmen.

Das Gespräch führte Ivo Bozic