Waldkindergarten Waldmäuse e.V.

Der Kindergarten und sein Gründer

„Ich bin gelassener geworden und habe gelernt großzügig zu sein.“ Diesen schönen Satz antwortet Alfred Cybulska, wenn man fragt, wie über 15 Jahre Arbeit im Waldkindergarten ihn geprägt haben. Von Anfang an war dem gebürtigen Münsterländer dieses Projekt eine Herzensangelegenheit. Inspiriert vom Besuch im Waldkindergarten in Nykøbing/Dänemark gründete der Pädagoge 1998 mit interessierten Eltern den Verein Waldmäuse e.V. und schon im August 1999 eröffnete die Kita mit zehn Kindern.

Heute spielen die Waldmäuse auf der Konradshöhe in Reinickendorf in drei Gruppen: Die 3-6-Jährigen teilen sich auf in die „Wurzelkinder“ und die „Waldtrolle“, die unter 3-Jährigen finden Geborgenheit bei den „Spielmäusen“. „Die Kinder haben die Freiheit, die Natur zu nutzen und die Pflicht, in der Gruppe zusammen zu bleiben“, erklärt Alfred Cybulska. „Außerdem wissen die Kinder, dass sie keine toten Tiere anfassen, nichts ausreißen und nur an totem Holz sägen dürfen. Aber ansonsten gibt es bei uns kein Fass-das-nicht-an, kein Heb-das-nicht-auf.“

Die Kinder sollen sich als Teil der Natur begreifen.

Von Piratenplatz bis Rodelberg

Das gilt für das verwunschene Waldgebiet im südlichen Tegeler Forst ebenso wie für das eingezäunte Kita-Gelände von rund 2000m². Hier gibt es einen Spielplatz, ein flaches Folienteich-Biotop und die Kita-eigenen Gemüse– und Blumenbeete; in der sogenannten Gärtnerecke steht außerdem eine Regentonne, in der seit kurzem Frösche heranwachsen. „Die Kinder sollen sich als Teil der Natur begreifen und gegenüber dem Leben und Sterben sensibilisiert werden. Wir haben einen partizipierenden Stil – die Kinder werden in die Verantwortung genommen – und wenige Regeln, die wir aber sehr ernst nehmen.“

Steckbrief

Art: Waldkindergarten mit In-Haus-Betreuung
Geografische Lage: Konradshöhe, Berlin-Tegel
Gründung: 1998 vom Erziehungswissenschaftler Alfred Cybulska
Träger: Verein Waldmäuse e.V.
Anzahl der Kinder: 40
Alter der Kinder: 1 - 6 Jahre
Betreuung: 6 ErzieherInnen, Praktikanten und FSJ/FÖJ

So gibt es im Wald überall Wartepunkte, an denen die Kinder sich sammeln und ausharren, bis die Gruppe wieder zusammen ist. Sie bestehen aus Bäumen, die in der Nähe bestimmter Plätze stehen, die die Orientierung erleichtern. „Wir haben den Piratenplatz, den Hubschrauberplatz, den Marienkäferplatz, den Reiherberg, den Rodelberg und den, wo die umgeknickte Kiefer liegt. Dafür gibt es aber noch keinen Namen“, weiß der sechsjährige Laurenz.

Die Kinder haben gelernt, neugierig zu sein

Hier wird jeden Kita-Tag bei Wind– und Wetter gespielt, die ganz Kleinen sind meist nach einer Stunde müde, die Großen bekommen auch nach 3–5 Stunden noch nicht genug vom Wald. „Unsere Kinder klagen nie: Mir ist langweilig“, sagt der Pädagoge. „Sie haben gelernt neugierig zu sein.“ Zum Mittagessen geht es zurück in die Basis, einen Flachdachbau von 260m2 mit großzügigen Räumen (fünf für die Kinder, einer für die Eltern, ein Elterncafé und eine eigene Küche), hier finden auch die Morgenkreise, der Mittagsschlaf für die Jüngsten oder gemeinsame Spiele statt. „Natürlich gibt es bei uns auch Spielzeug, wenig aus Plastik, aber wir sind nicht kategorisch.“ Eine Einstellung, die auch die Eltern sehr begrüßen. Der Waldkindergarten muss viele Anfragen ablehnen, zum einen sind die Räumlichkeiten ausgereizt, „zum anderen muss man sich auch fragen: Wieviel Kind verträgt ein bestimmtes Stück Wald“, sagt Alfred Cybulska schmunzelnd. „Wir haben ja immer auch die Natur im Blick.“

Kind mit Insekt auf der Nase

Im Wald mit den Waldtrollen

Angel, Zauberstab, Hexenbesen, Flöte – ein Stock kann so vieles werden, heute hat er sich in ein Schwert verwandelt. Oder noch besser: In ein Laserschwert. Laurens und Emil sind mit ihren holzigen Phantasiewaffen völlig in ihr Spiel versunken, der vermooste Waldboden hat sich in das Deck eines Piratenschiffes verwandelt, der Regen sprüht wie Gischt und bei voller Konzentration ist sogar der Seegang zu spüren. Jedenfalls ist es gar nicht leicht, auf dem glitschigen Untergrund das Gleichgewicht zu bewahren und die beiden Fünfjährigen purzeln, stolpern übereinander, fallen hin, vergessen dabei aber nie, einen kämpferischen Schrei in Richtung Gegner auszustoßen. „Waldkinder sind robust“, stellt Leiter Alfred Cybulska fest, er begleitet die „Waldtrolle“ heute zusammen mit Roger Büttner, Erzieher in Ausbildung auf ihre Abenteuerexpedition. „Sie toben sich aus und sind nachmittags völlig k.o. Das schätzen übrigens die Eltern sehr, sie müssen dann nach dem Kindergarten und der Arbeit nicht mehr auf den Spielplatz, weil sie entspannte Kinder haben.“

Fähigkeiten, die im Waldkindergarten automatisch geschult werden: Klettern, tragen, heben, tasten, balancieren, riechen – und natürlich das Entwickeln der eigenen Phantasie.

Das Potenzial des Waldes

Daneben schätzen die Mütter und Väter das Potenzial des Waldes und die Fähigkeiten, die im Waldkindergarten automatisch geschult werden: Klettern, tragen, heben, tasten, balancieren, riechen – und natürlich das Entwickeln der eigenen Phantasie. Denn während im Piratennest im Unterholz noch jeder Zentimeter hart umkämpft ist, werden am Wegesrand wahre Schätze geborgen: „Schau mal! Glitzergold!“ Die vierjährige Lou verteilt großzügig Holzspäne an ihre Freundinnen, die ehrfurchtsvoll auf ihre Handflächen starren. „Damit bin ich eine Glitzerfee!“, ruft sie und dreht sich fröhlich im Kreis, beobachtet von den schmunzelnden Erziehern. „Manche Mädchen haben das Talent zur Prinzessin“, so die Erfahrung von Alfred Cybulska. „Das dürfen sie hier gerne ausleben. Aber alle anderen Seiten auch.“ Zum Beispiel die logisch-analytischen.

Wir führen die Kleinen ganz langsam an die Natur heran.

Kaspar hat ein Fahrradschloss im Wald entdeckt und rätselt nun gemeinsam mit Freunden: Wie ist das hierher gelangt? Und wo ist das Fahrrad dazu, das Schloss ist nämlich geschlossen? Was könnte passiert sein? Er kommt zu keinem Ergebnis, denn nun lockt eine weitere Herausforderung: „Wer mitkommen will: Zurück geht es durch die Wildnis“, ruft der angehende Erzieher Roger. Das ist der Startschuss für die Älteren, sie toben und rennen abseits der Pfade durchs Unterholz, bahnen sich ihren Weg mit großem Begeisterungs-Gejohle. Laut wird es plötzlich auch an anderer Stelle: Der dreijährige Merlin weint dicke Krokodilstränen, er hat die Nacktschnecke fallen lassen, die er eine gefühlte Ewigkeit mit sich herumgetragen hat und nun ist das Tier unauffindbar. „Nacktschnecken sind sehr beliebt“, erklärt Alfred Cybulska, während er den Jungen tröstet. „Die werden eigentlich nur noch von Mistkäfern getoppt.“ Das gibt es wirklich nur im Waldkindergarten.

Im Wald mit den „Spielmäusen“

„Wer hat noch keine Kapuze auf?“ fragt Erzieherin Chantal Wilke in die Runde und zehn Unter-Dreijährige fixieren sie aus weit aufgerissenen Augen unter großen Kapuzen. Stumme Ratlosigkeit macht sich breit. „Ich!“ ruft sie fröhlich, stülpt sich den Kopfschutz über und macht sich bereit für einen Vormittag im strömenden Regen. Es ist ein rührender Anblick, wie die Kleinsten des Waldkindergartens verpackt in Regenhosen, Gummistiefeln und Regenjacken in Richtung Wald tapern, auf dem Weg ins Abenteuer Natur. „Wir führen die Kleinen ganz langsam an die Natur heran“, erzählt Frau Wilke. „Manche wollen etwa bei Regen nicht raus oder haben Angst vor Matsch oder schmutzigen Händen. Das legt sich aber schnell.“ In der Tat: Berührungsängste mit der Erde gibt es keine: Der Tausch von Matsch-Buletten erfreut sich reger Beliebtheit und manchen fällt es schwer, den braunen Klumpen loszulassen, um an der Hand von Praktikantin Fiona Schlote über einen Baumstamm zu balancieren. Ganz langsam, einen Gummistiefel-Fuss von der anderen.

Auch Waldkinder brauchen mal eine Pause

Bei allem, was die Kleinen machen, geht es bemerkenswert ruhig zu, es wird sehr wenig geweint, an diesem Vormittag gar nicht. „Ab und zu will mal ein Kind auf den Arm und kuscheln statt erkunden, aber keines hat es nötig, durch Weinen auf sich aufmerksam zu machen“, so die erfahrene Erzieherin. „Auch bei den Spielmäusen gilt das Gebot der Gruppe.“ Wenn also das erste Kind müde wird, dann sammelt sich der kleine Tross an den Händen von insgesamt vier Erwachsenen (zwei Erzieherinnen, eine Praktikantin, eine FSJ-Helferin) und wandert gemächlich wieder zurück ins Haus. Spätestens wenn der Schlafraum erreicht ist, sind alle Spielmäuse so müde, dass sie auf der Stelle einschlafen.

Kontakt

Waldmäuse e.V.
Rabenstraße 41
13505 Berlin
Tel.: 030 4312225
www.waldkita.de