Haselmaus – versteckt im Großstadt-Dickicht
Schutzprojekt in Hamburg und Schleswig-Holstein
Die Haselmaus ist ein nachtaktiver Nager. Daher bleibt ihre Anwesenheit vom Menschen häufig unbemerkt – ebenso wie ihr Rückgang in einigen Teilen ihres Verbreitungsgebietes. Die Hauptursache ist das Verschwinden geeigneter Lebensräume. Haselmäuse leben vorwiegend in artenreichen Mischwäldern mit dichtem Unterholz und benötigen ein abwechslungsreiches Nahrungsangebot. Durch die ertragsorientierte Forstwirtschaft und Zerschneidung von Wäldern durch Trassen und Straßen werden ihre Lebensräume zunehmend zerstört.
Vier Maßnahmen für die Haselmaus:
- Forschungsprojekt zur Nahrung von Haselmäusen
- Haselmaus-Monitoring
- Lebensraum und Nahrung durch das Pflanzen von Hecken
- Naturbildung
Forschung: Was frisst die Haselmaus?
Über die Nahrung der Haselmäuse ist bisher bekannt, dass sie im Frühjahr Pollen und Knospen, im Sommer Beeren und Früchte und im Herbst fetthaltige Samen und Nüsse bevorzugen. Wie der Name vermuten lässt, sind Haselnüsse eine beliebte Nahrungsquelle. Sie sind jedoch nicht lebensnotwendig. Haselmäuse kommen auch in Lebensräumen vor, in denen es keine Haselsträucher gibt. Auch Insekten gehören auf ihren Speiseplan. Je nach Gebiet und Jahreszeit machen die einzelnen Bestandteile einen unterschiedlich starken Anteil an der Gesamtnahrung aus.
Den Nahrungsansprüchen der Haselmäuse werden am ehesten naturnahe Wälder gerecht. Hier sind viele unterschiedliche Gehölzarten vorhanden. Die Bäume sind unterschiedlich alt und die Strukturvielfalt ist hoch. Besonders lichtliebende Straucharten stellen mit ihren Blüten, Pollen und Beeren eine wichtige Nahrungsgrundlage dar. Zu diesen lichtliebenden Straucharten zählen zum Beispiel Hasel, Weiß- oder Schlehdorn. Sie benötigen Licht, um blühen und fruchten zu können.
Überraschend ist es daher, dass Haselmausvorkommen auch in reinen Buchenwäldern festgestellt wurden, in denen die ausgeprägte Strauchschicht fehlt. Ebenso gibt es Nachweise in artenarmen Fichtenwäldern der höheren Berglagen. Wir haben daher die Frage gestellt: Was fressen Haselmäuse in diesen so untypischen Lebensräumen?
UNTERSUCHUNG VON KOTPROBEN MIT MIKROSKOP UND GENANALYSE
Bei der Analyse des Speiseplans der Haselmaus arbeitete die Deutsche Wildtier Stiftung mit ausgewiesenen Haselmausexperten zusammen. Sven Büchner und seine Kollegin Nicolle Bräsel kennen bereits viele Bestandteile der Haselmauskost. 2016 haben sie aus fünf Waldgebieten in Sachsen (Oberlausitz, Vogtland, Erzgebirge) und Hessen (Knüll) über eine Haselmaussaison hinweg Kotproben aus speziellen Haselmauskästen, die für das Monitoring der Art aufgehängt wurden, gesammelt und anschließend unter dem Mikroskop untersucht. Über 500 Proben kamen zusammen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die verdauten Blüten, Früchte und Samen bis auf Artniveau bestimmen lassen. Insektenreste oder Pflanzenfasern, die man vor allem in Kotproben aus den Buchen- und Fichtenwäldern fand, lassen sich jedoch nicht vollständig mithilfe des Mikroskops identifizieren. Gerade in diesen sehr speziellen Lebensräumen ist es wichtig, zu wissen, wovon sich Haselmäuse ernähren. Das ist Voraussetzung, um effektive Schutzmaßnahmen umzusetzen.
Lösen molekulargenetische Methoden das Rätsel der Haselmaus-Vorkommen in ungewöhnlichen Lebensräumen?
Um die taxonomische Auflösung des Nahrungsspektrums in den eher untypischen Lebensräumen erstmals genauer bestimmen zu können, unterstützte die Deutsche Wildtier Stiftung die beiden Experten bei einer molekulargenetischen Untersuchung von Haselmaus-Kotproben.
28 der 518 Proben wurden zusätzlich einer DNA-Analyse unterzogen. Hierbei werden in einem aufwendigen Verfahren bestimmte genetische Abschnitte der Erbsubstanz gefressener Pflanzen und Tiere mit bereits bekannten Abschnitten aus einer Gen-Datenbank verglichen. So können die einzelnen Bestandteile des Haselmauskots mit hoher Wahrscheinlichkeit bestimmten Arten zugeordnet werden. Diese Untersuchung ist die erste systematische molekulargenetische Kotprobenanalyse bei einer Schlafmausart.
ERGEBNISSE DER STUDIE
Die Ergebnisse liefern erste Erkenntnisse der Nahrungsbestandteile von Haselmäusen in bisher eher unbekannten Lebensräumen:
Ergebnis 1: Neben Insekten fressen Haselmäuse auch Spinnentiere.
Ergebnis 2: In untypischen Habitaten fressen Haselmäuse vor allem Blätter und Rinde.
Eine weitere neue Erkenntnis dieser Untersuchung: Bisher wurde vermutet, dass sich Haselmäuse in reinen Buchen- und Fichtenwäldern vor allem von Insekten ernähren, da in diesen Habitaten die artenreiche Strauchschicht und damit Beeren und Früchte fehlen. Die Analyse der Kotproben deutet darauf hin, dass in diesen untypischen Habitaten vegetative Pflanzenteile wie Blätter oder Rinde – insbesondere von Buche, Fichte, Birke und Ahorn – einen unerwartet großen Anteil in der Nahrung ausmachen. Bisher ging man davon aus, dass Haselmäuse Blätter (aufgrund ihres fehlenden Blinddarms) nicht verdauen können und daher auch nicht fressen.
Rätsel nicht ganz gelöst, aber einen Schritt weiter
Während Haselmäusen in Buchenwäldern auch Bucheckern zur Verfügung stehen, um ausreichend Energiereserven für den Winterschlaf anzufressen, ist es weiterhin unklar, wie es den Haselmäusen in den Fichtenforsten gelingt, ausreichend Körpermasse für den Winterschlaf aufzubauen. Die im Kot gefundenen Pflanzenfasern gelten als wenig verdaulich und sind zudem energiearm. Weitere Forschung ist daher für die Beantwortung der Frage notwendig, wie Haselmäuse in den Fichtenforsten der höheren Lagen imstande sind, stabile Populationen aufzubauen. Dies ist insbesondere erstaunlich, da nach bisherigem Kenntnisstand Haselmäuse im Tiefland reine Fichtenbestände meiden.
Einschränkend ist anzumerken, dass nach einem Untersuchungsjahr das Ergebnis nur als vorläufig zu interpretieren ist. Denn die Nahrung von Haselmäusen kann jährlich schwanken. So wurde bei Untersuchungen in Litauen über einen Zeitraum von fünf Jahren in einem der Jahre ein hoher Anteil an Birkensamen in der Nahrung entdeckt, die zuvor keine Rolle spielten. Bei Haselmäusen im Vogtland wurden in der Vergangenheit regelmäßig Himbeersamen in Kotproben gefunden, die sich in 2016 jedoch gar nicht nachweisen ließen.
Dies zeigt – ebenso wie die Ergebnisse der Studie der Deutschen Wildtier Stiftung –, dass Haselmäuse über eine hohe Anpassungsfähigkeit an die lokalen und jahreszeitlichen Bedingungen verfügen.
Haselmaus-Monitoring
Kenntnisse zur Verbreitung der Haselmaus in Deutschland sind in einigen Regionen noch sehr lückenhaft. Die Deutsche Wildtier Stiftung hat 2017 eine Initiative zur Erfassung der Haselmaus am Rand des Hamburger Stadtgebietes gestartet. Hierbei arbeitete sie eng mit den Forstämtern, der Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein und der Hamburger Behörde für Umwelt und Energie zusammen.
Verbreitung der Haselmaus in Europa und Deutschland
Haselmäuse leben in ganz Mittel- und Südeuropa. Ausnahmen bilden die meisten Mittelmeerinseln und die Iberische Halbinsel. In Großbritannien kommt sie im Süden vor. In Deutschland erstreckt sich das Hauptverbreitungsgebiet über die Südhälfte des Landes, aber auch im Norden und in Nordostdeutschland bis an die Ostseeküste sind einzelne Populationen bekannt. Ausschlaggebend für ihr Vorkommen sind geeignete Lebensräume wie laubholzgeprägte Wälder mit möglichst naturnaher Altersklassen-Zusammensetzung sowie artenreiche Hecken, Gehölze und Waldränder mit vielen unterschiedlichen fruchttragenden Sträuchern. Studien weisen darauf hin, dass dem Alter dieser Lebensräume eine entscheidende Bedeutung für das Vorkommen von Haselmäusen zukommt: Isoliert gelegene Wälder, Hecken – und Knicks in Norddeutschland –, die in den letzten Jahrhunderten zwischenzeitlich vollständig gerodet wurden, werden nur schwer von Haselmäusen wiederbesiedelt. Sie sind nicht in der Lage, offene Kulturlandschaften ohne deckungsbietende Gehölze über weite Distanzen zu überwinden.
Haselmäuse in der Großstadt Hamburg?
Im östlichen und nordöstlichen Hamburger Stadtgebiet wurden Haselmäuse in den letzten Jahren bereits nachgewiesen. Im Rahmen gezielter Erhebungen im Auftrag der Umweltbehörde und der Arbeit ehrenamtlicher Experten wurden ihre typischen Nester jedoch nur sehr vereinzelt aufgefunden. An der östlichen Hamburger Stadtgrenze werden dagegen regelmäßig einige stabile Vorkommen nachgewiesen. Man kann daher vermuten, dass Verbindungen zu den bekannten Populationen im angrenzenden Schleswig-Holstein existieren. Zur Verbesserung des Populationsverbundes zwischen geeigneten Lebensräumen in Schleswig-Holstein und Hamburg ist es zunächst notwendig, Vorkommen der Haselmaus zu bestätigen bzw. weiter zu erfassen. Nur auf dieser Grundlage können gezielte Artenschutzmaßnahmen effektiv geplant werden.
Haselmauskästen als Nachweis-Methode
Die Deutsche Wildtier Stiftung ging mit speziellen Haselmauskästen, einer bisher auf dem Hamburger Stadtgebiet nicht angewandten Nachweismethode, auf die Suche nach der Art. Im Grenzgebiet zwischen Hamburgs Osten und Schleswig-Holstein sowie im Süden von Hamburg wurden im Frühsommer 2017 in insgesamt vier geeigneten Lebensräumen Haselmauskästen an Bäumen und Sträuchern angebracht. Sie werden von den Tieren gern als Versteck für die Tagesruhe genutzt. Anders als bei Nistkästen für Vögel befindet sich der Eingang dieser Kästen an der zum Stamm hingewandten Seite. So ist das Höhlenangebot nur den Tieren vorbehalten, die als Kletterkünstler entlang des Stammes laufen können. Auch Wald- und Gelbhalsmäuse quartieren sich gern in die Kästen ein. Kontrolliert wurden die Kästen im Abstand von mindestens vier Wochen. In jedem der ausgewählten Untersuchungsgebiete wurden 20 dieser Haselmauskästen installiert. Es wurden jedoch keine Haselmäuse nachgewiesen – nur Waldmäuse nutzten die Kästen.
Freinestersuche im Winter: Nachweis in Hamburg
Als zweite Methode, um Haselmäuse nachzuweisen, wurde nach verlassenen Sommernestern gesucht. Viele Tage lang waren Biologen, unterstützt von der Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein und der Deutschen Wildtier Stiftung, unterwegs, um die Knicks und Waldränder am östlichen Rand von Hamburg und im angrenzenden Schleswig-Holstein nach verlassenen Sommernestern abzusuchen. Mit Erfolg: In den Wäldern und Hecken im Hamburger Stadtteil Bergedorf sowie in Wentorf und Glinde in Schleswig-Holstein konnte die Haselmaus eindeutig nachgewiesen werden. 15 Haselmausexperten aus Deutschland und Österreich haben insgesamt 53 Kilometer Wälder und Hecken mit geschultem Auge abgesucht und 32 Nester gefunden.
Haselmäuse legen ihre fest aus Gras und Blättern gewebten Nester frei in Zweigen von dichten Büschen wie Brombeeren oder Weißdorn an. Zu Beginn des Winters ist die beste Zeit für die Suche, denn es befindet sich kein Laub mehr an Bäumen und Sträuchern. Die ehemaligen Sommernester hängen somit frei sichtbar im Geäst.
Schutzmaßnahmen: Ein neuer Wald für die Haselmaus
Um auch praktisch etwas für die Haselmaus zu tun, wurde von der Deutschen Wildtier Stiftung zusammen mit der Ausgleichsagentur Schleswig-Holstein GmbH bei Klein Kummerfeld in Schleswig-Holstein auf rund zwei Hektar neuer Lebensraum geschaffen. Was vorher ein Maisacker war, wird heute zu einem artenreichen Wald, der als Trittstein zwischen den Haselmauspopulationen im Segeberger Raum und denen rund um Neumünster/Aukrug dienen wird.
Auf diesem etwa zwei Hektar großen ehemaligen Maisacker entsteht ein neuer Wald für die Haselmaus.
NATURBILDUNG: HASELMAUSEXKURSIONEN
2017 fanden neben den Forschungs- und Schutzaktivitäten auch Exkursionen rund um die Haselmaus statt. Zusammen mit der Forschungsstelle Rekultivierung im rheinischen Braunkohlerevier hat die Deutsche Wildtier Stiftung Haselmausexkursionen für Schulklassen angeboten. Auf der Sophienhöhe, einem ehemaligen Braunkohleabbaugebiet in Nordrhein-Westfalen, finden Haselmäuse, die dem Kohleabbau an anderer Stelle weichen mussten, eine neue Heimat. Mit Haselmauskästen werden die Bilche umgesiedelt. Die Kästen werden am neuen Wohnort an die Bäume montiert und dienen den Tieren tagsüber als Schlafquartier. Seit 2011 werden jährlich etwa 300 Haselmäuse dorthin umgesiedelt, die sich erfolgreich vermehren. Mittlerweile leben dort an die tausend Exemplare.
Mit Kindern aus den benachbarten Grundschulen wurden Wanderungen auf der Sophienhöhe unternommen, um ihnen den typischen Lebensraum der Haselmaus zu zeigen und Wissen über das Tier des Jahres 2017 zu vermitteln. Die Kinder schauten unterwegs in einige Haselmauskästen und sahen sogar schlafende Tiere.
BILDUNGSMATERIAL
Gemeinsam mit der Illustratorin Susanne Nissen entwickelte die Deutsche Wildtier Stiftung ein Poster, das den Lebensraum der Haselmaus im Jahresverlauf darstellt. Auf dem detaillierten Wimmelbild gibt es viel zu entdecken: vor allem den abwechslungsreichen Speiseplan der nachtaktiven Schlafmaus, der sich mit den Jahreszeiten ändert. Die Rückseite liefert Erklärungen zu den unterschiedlichen Aktivitäten und Nahrungsbestandteilen sowie einen kurzen Steckbrief und Informationen zur Gefährdung der Haselmaus.
Poster Download
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Poster „Das Jahr der Haselmaus"
Das Poster stellt den Lebensraum und die Lebensweise der Haselmaus im Jahresverlauf dar.
Autor: Deutsche Wildtier Stiftung (Illustration: Susanne Nissen)
Jahr:
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