Wildkatze – dem scheuen Einzelgänger auf der Spur
Studien als Grundlage für Schutzmaßnahmen
Noch bis zu Beginn des letzten Jahrhunderts wurde die Wildkatze als „Schädling des Niederwildes“ intensiv bejagt. Zudem verschwanden versteckreiche Lebensräume durch Rodung und Umwandlung von Wäldern und durch den Verlust von Hecken und Feldgehölzen in der Kulturlandschaft. Nur in einigen Mittelgebirgsregionen hat die Art ihren dramatischen Niedergang überlebt. Straßen, Städte und Siedlungen sind heute der Grund dafür, dass die verbliebenen Lebensräume der Wildkatze stark voneinander isoliert sind. Wildkatzen leben in Deutschland heute nur auf einem geringen Teil ihres ursprünglichen Verbreitungsgebiets. Bewaldete Mittelgebirge bilden die wichtigsten Rückzugsräume. Historische Daten zeigen aber, dass Wildkatzen früher auch halboffene Landschaften und Wälder des Tieflandes besiedelt haben.
Trotz eines anhaltend kritischen Zustands gehörte die Wildkatze in den vergangenen Jahren zu den Gewinnern unter den heimischen Wildtieren. Denn heute leben Wildkatzen wieder in mehreren Mittelgebirgen und immer mehr auch in deren Peripherie. Sogar fernab großflächig bewaldeter Höhenlagen wird die Art wieder nachgewiesen. Dieser positive Trend muss unterstützt werden, um es den Wildkatzen zu ermöglichen, ihre ehemaligen, noch vorhandenen Lebensräume wieder dauerhaft zu besiedeln.
Forschung als Grundlage für Schutzmaßnahmen
Nur durch ökologische Erkenntnisse können wir Beeinträchtigungen von Lebensräumen minimieren und Schutzmaßnahmen gezielt umsetzen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Wildkatzen eine hohe Jungensterblichkeit aufweisen. Nur mit Glück erreicht einer von vier geborenen Welpen das Erwachsenenalter. Aufgrund dieses geringen Aufzuchterfolgs ist die Wildkatze weiterhin auf Artenschutzmaßnahmen angewiesen. Wir möchten die Biologie und die Ansprüche der Wildkatze an ihren Lebensraum besser verstehen und wir entwickeln Projekte zu ihrem Schutz. Dabei stehen wir in engem Austausch mit vielen Wildkatzenforschern und -schützern und sind Partner von EUROWILDCAT, einer wissenschaftlichen Plattform für Forschungsarbeiten zum Schutz der Wildkatze in Europa.
Unsere Wildkatzen-Projekte
Wildkatzen im Norddeutschen Tiefland
Lebensräume und Wanderungen an der Verbreitungsgrenze
Seit einigen Jahren wird für die Wildkatze ein positiver Trend der Wiederausbreitung beobachtet. Auch an ihrer nördlichen Verbreitungsgrenze in Deutschland ist sie auf der Suche nach neuen Lebensräumen. Ausgehend vom Harz, dem verbliebenen Kernlebensraum der Art im Zentrum Deutschlands, werden Wildkatzen inzwischen sogar wieder im Norddeutschen Tiefland nachgewiesen. Hier war die Art spätestens zu Beginn des letzten Jahrhunderts ausgestorben. Die Deutsche Wildtier Stiftung möchte die Rückkehr der Wildkatze unterstützen und untersucht ihre Lebensraumanforderungen fernab bewaldeter Mittelgebirgsregionen.
Eine automatische Kamera hat eine Wildkatze im Offenland nördlich von Magdeburg erfasst (Foto: Bundesforst, Horst Schulze)
Neue alte Lebensräume
Die Ansprüche der streng geschützten Wildkatze an ihren Lebensraum wurden bisher in bewaldeten Mittelgebirgsregionen untersucht. In einigen von ihnen hatten Wildkatzen in Deutschland dem dramatischen Aussterbeprozess standgehalten. Nun scheint sich die Art von dort aus langsam wieder auszubreiten und erobert versteckreiche Lebensräume auch im Norddeutschen Tiefland zurück. Um die Wiederausbreitung der Wildkatze in Richtung Norden mit konkreten Schutzmaßnahmen unterstützen zu können, ist es wichtig zu wissen, welche Habitatstrukturen von Wildkatzen bevorzugt werden und welchen Gefahren sie in der Kulturlandschaft ausgesetzt sind. Von besonderem Interesse an der nördlichen Ausbreitungsgrenze der Wildkatze ist auch die Raumnutzung junger Tiere auf der Suche nach eigenen Streifgebieten.
Fragestellungen
Diesen Fragen nähern wir uns in der im Frühjahr 2020 begonnenen Telemetriestudie in Sachsen-Anhalt. Die Ergebnisse dienen als wissenschaftliche Grundlage für Lebensraumaufwertungen, dem Schutz wichtiger Habitatstrukturen und der Reduzierung der Unfallgefahr an besonders gefährdeten Straßenabschnitten.
• Welche Lebensraumstrukturen spielen im Flachland eine wichtige Rolle?
• Welche besonders zu schützende „Requisiten“ dienen hier als Ruheplatz und als Versteck für die Jungenaufzucht?
• Welchen Gefährdungen sind wandernde Wildkatzen an ihrer nördlichen Ausbreitungsgrenze ausgesetzt?
• Und welche Rolle kommt kleineren Waldgebieten in einer stark überformten Kulturlandschaft bei der Wiederausbreitung der Wildkatze zu?
Im Mittelpunkt der Telemetriestudie stehen die Aktionsräume und das Abwanderungsverhalten von Wildkatzen an ihrer nördlichen Verbreitungsgrenze. Hierbei werden die Habitatwahl und die Anforderungen der Wildkatze an Ruhe- und Reproduktionsstätten untersucht und spezifische Gefährdungen ermittelt.
Als Untersuchungsgebiete dienen Heide- und Auenlandschaften der Altmark und des Elbtals in Sachsen-Anhalt, in denen die Wildkatze im Rahmen des Monitorings bereits nachgewiesen wurde. Besenderungen von Wildkatzen erfolgen in den Schutzgebieten Colbitz-Letzlinger Heide nördlich von Magdeburg (Untersuchungsgebiet Colbitz-Letzlinger Heide) und in Auenlandschaften des Biosphärenreservats Mittelelbe westlich von Dessau (Untersuchungsgebiet Mittelelbe bei Aken).
Karte der Untersuchungsgebiete Colbitz-Letzlinger Heide und Mittelelbe bei Aken (Foto: Malte Götz)
Es ist geplant, zukünftig weitere typische Lebensraumstrukturen des Tieflandes, wie kleine Waldgebiete oder Niederungsgebiete, in die Studie einzubeziehen.
Heide bis zum Horizont
Das Projektgebiet Colbitz-Letzlinger Heide ist eines der größten von Straßen unzerschnittenen Gebiete Mitteleuropas. 29.000 Hektar dienen hier auf dem Truppenübungsplatz Altmark als militärisches Übungsgelände. Die prärieartigen Heideflächen im Zentrum des Gebietes sind im Norden und Osten überwiegend durch Kiefern und im Süden durch naturnahe Laubwälder gesäumt. Insbesondere die zahlreichen alten Eichen, die sich zum Teil bereits in der Zerfallsphase befinden, bieten durch ihr hohes Totholz- und Höhlenangebot vielen Arten wertvollen Lebensraum. Vom Insektenreichtum auf der Heidefläche profitiert zum Beispiel der Wiedehopf, der hier recht häufig vorkommt. Wölfe sind im Gebiet fest etabliert. Sie nutzen Reh, Rothirsch und Wildschwein als Nahrungsgrundlage, vor allem aber auch viele Hasen, die hier ebenfalls optimale Lebensraumbedingungen vorfinden. Zurzeit entsteht unmittelbar östlich des Gebietes die Autobahn A14 (Magdeburg-Schwerin). Ob bereits die Baustelle eine Barriere für die Ausbreitung der Wildkatzen darstellt, die das Gebiet in Richtung Osten verlassen, ist von großem Interesse.
Fotogalerie: Die Colbitz-Letzlinger Heide ist mit 29.000 Hektar eines der größten, nicht bebauten Gebiete Mitteleuropas (Foto: Malte Götz)
Im Mai blüht der Ginster auf den großen Offenlandflächen der Heide (Foto: Malte Götz)
Im Waldsaum der Colbitz-Letzlinger Heide befinden sich neben Kiefernforsten auch viele uralte Eichen. Zum Teil befinden sie sich bereits in der Zerfallsphase und sorgen so für viele Baumhöhlen und Totholzstrukturen (Foto: Malte Götz)
In der Überflutungszone
Alte Laubwälder der Hartholzaue und große Grünlandflächen mit vielen, zum Teil temporären, Kleingewässern prägen das Landschaftsbild des Untersuchungsgebietes an der Mittelelbe bei Aken. Sie dienen als Überflutungsgebiet bei Hochwasser. Viele Waldbereiche sind Bestandteil der Kernzone des Biosphärenreservates. Hier entwickelt sich der Wald in weiten Bereichen bereits seit Jahrzehnten, in anderen zumindest bereits seit einigen Jahren ohne menschlichen Einfluss. Die einem Urwald ähnlichen Wälder bieten ein großes Angebot an Höhlen und Versteckmöglichkeiten. Neben dem Wappentier des Biosphärenreservates, dem Elbebiber, und vielen seltenen Vogelarten sind auch Wölfe hier wieder fester Bestandteil des Ökosystems Flussaue. Das Untersuchungsgebiet ist durch die Ortslage von Aken unterbrochen und nach Nordosten durch die Elbe begrenzt. Daraus ergibt sich auch hier die Frage, ob und auf welchem Weg Wildkatzen die Stadt Aken umgehen und ob sie auch Bereiche am anderen Elbufer nutzen und selbst die Elbe überqueren.
Fotogalerie: Urwüchsige Weiden säumen das Ufer der Elbe bei Aken (Foto: Malte Götz)
Zwischen Wald und Elbe ist die Aue durch viele Kleingewässer und Grünland geprägt (Foto: Malte Götz)
Die Wiesen an der Elbe werden mit Rindern und Schafen extensiv bewirtschaftet (Foto: Malte Götz)
Wichtigste Methode bildet in diesem Forschungsprojekt die GPS-Telemetrie. In den beiden unterschiedlichen Landschaftstypen „Heide“ und „Aue“ werden Wildkatzen gefangen und mit einem GPS-Senderhalsband markiert. So können ihre Aktionsräume im Jahresverlauf erfasst werden. Ein besonderer Fokus liegt bei der Untersuchung junger bzw. nicht sesshafter Wildkatzen, die hier an der Ausbreitungsgrenze auf der Suche nach eigenen Streifgebieten sind. Alle zweieinhalb Stunden speichern die Sender den Aufenthaltsort der Katze. Hochsensible Beschleunigungssensoren in den Halsbändern registrieren zudem alle zwei Minuten Daten zur Aktivität des Tieres. Im Abstand von ca. zwei Wochen werden die im Halsbandsender gespeicherten Datensätze auf Distanz ausgelesen. Dies geschieht, während die Wildkatze tagsüber ruht und ohne sie dabei zu stören. Zum Auslesen der Daten werden die Katzen mithilfe eines Radiosignals, das mit einer Antenne vom Fahrzeug aus empfangen wird, aufgesucht. Die Datenanalyse erfolgt mit spezieller Software unter Berücksichtigung digitaler Grundlagendaten zur Habitatausstattung innerhalb der erfassten Aktionsräume. So werden Vorlieben, aber auch Meidungen bestimmter Lebensraumstrukturen ermittelt.
Um die Raumnutzung von Mutterfamilien und die von ihnen genutzten Versteckstrukturen zu erfassen, werden zudem einzelne Welpen mit einem expandierenden (mitwachsenden) Senderhalsband markiert. Diese Methode hat sich bei Studien im Harz sehr bewährt, um Einblicke in die Jungenaufzucht zu erlangen.
Genetische Verwandtschaftsanalysen sollen zusätzlich Auskunft über populationsökologische Mechanismen der Ausbreitung liefern. Hierfür werden Haar- und Speichelproben von allen gefangenen Wildkatzen und Jungtieren gesammelt.
Im Februar und März 2020 wurden in den Untersuchungsgebieten insgesamt neun Wildkatzen gefangen und mit einem GPS-Halsband markiert. Während Baldrian als Lockstoff in der Heide große Wirkung zeigte, erwies sich der Fang in der Aue schwieriger.
Sechs Wildkatzen in der Heide
In der Colbitz-Letzlinger Heide gelang es, neben zwei weiblichen Tieren im „besten“ Alter von drei bis fünf Jahren eine deutlich ältere (>5 Jahre) und eine einjährige weibliche Katze sowie zwei erwachsene Kater zu besendern. Spannend ist nun, in welcher Weise die Wildkatzen die sandigen Heideflächen und monotonen Kieferforste nutzen und welche Rolle die vielen alten Eichen bei der Raumnutzung spielen.
Drei Katzen an der Elbe
Im Untersuchungsgebiet Mittelelbe war der Fang im Frühjahr mit drei Markierungen weniger erfolgreich. Lediglich eine ältere weibliche Katze und zwei Kater, darunter ein vorjähriger, konnten besendert werden. Bemerkenswert sind hier Merkmale des Körperbaus und der Fellfärbung aller drei Individuen, die auf eine Hybridisierung von Wild- und Hauskatzen in diesem Gebiet deuten. Genetische Analysen werden diesen Verdacht näher untersuchen. Durch Fotos wurden in den Vorjahren aber auch phänotypisch unkritische Wildkatzen an der Mittelelbe bestätigt. Auch genetisch wurde die Art hier bereits bestätigt, ohne allerdings Hybriden ausschließen zu können. Auch während der Fangversuche gelangen Aufnahmen weiterer Wildkatzen mithilfe von Fotofallen. Diese zeigten keine Reaktion auf den vor den Kameras platzierten Lockstoff Baldrian, was den geringen Fangerfolg erklären könnte.
Fotogalerie: Vergleich besenderter Wildkatzen im Untersuchungsgebiet Colbitz-Letzlinger Heide (oben) und möglicher Wildkatzen-Hauskatzen-Hybride im Untersuchungsgebiet Mittelelbe bei Aken (unten). Bei den Katzen F1 und F6 handelt es sich um ausgewachsene Weibchen, bei M2 und M7 um ausgewachsene Männchen und bei F5 und M8 um vorjährige Katzen (Foto: Malte Götz)
Untersuchungsgebiet Colbitz-Letzlinger Heide: Fallenstandorte (gelb) und Orte, an denen Wildkatzen gefangen und besendert wurden (rot = Katze, blau = Kater) (Foto: Malte Götz)
Foto 3: Untersuchungsgebiet Mittelelbe bei Aken: Fallenstandorte (gelb) und Orte, an denen Katzen gefangen und besendert wurden (rot = Katze, blau = Kater) (Foto: Malte Götz)
Unsere Partner und Förderer
Für ihre Unterstützung in der Colbitz-Letzlinger Heide danken wir dem Bundesamt für Infrastruktur, Naturschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr, dem Gefechtsübungszentrum Heer und dem Bundesforstbetrieb Nördliches Sachsen-Anhalt. Im Untersuchungsgebiet Mittelelbe danken wir der Verwaltung des Biosphärenreservates Mittelelbe und dem Landesforstbetrieb Sachsen-Anhalt, Forstbetrieb Anhalt für ihre Unterstützung.
Auswirkungen menschlicher Störungen in Lebensräumen der Wildkatze
Bewaldete Mittelgebirge sind die wichtigsten verbliebenen Lebensräume der Wildkatze in Deutschland. Hier hat sie überlebt und von hier aus erobert sie sich ehemalige Lebensräume zurück. Besonders in naturnahen Wäldern mit hohem Laubholzanteil findet sie ein optimales Nahrungs- und Versteckangebot vor. Wie sich die zunehmende wirtschaftliche Nutzung dieser Wälder auf Wildkatzen auswirkt, untersucht die Deutsche Wildtier Stiftung in einem umfangreichen Telemetrieprojekt in Rheinland-Pfalz.
Sorge um Kernlebensräume
Naturnahe Wälder in Mittelgebirgslagen sind die verbliebenen Kernlebensräume der Wildkatze. Die stabilen Vorkommen in den Höhenlagen sind die wichtigste Grundlage für den Erhalt der Wildkatze. Sie sind zudem Quelle der Wiederausbreitung – dem übergeordneten Ziel europaweiter Schutzbemühungen. Diese Wälder sind aber auch in forstwirtschaftlicher Nutzung und Erholungsort für viele Menschen. Durch weitere wirtschaftliche Maßnahmen wie Bau und Betrieb von Windenergieanlagen kommen neue Einflüsse hinzu. Wie sich dies auf die Wildkatze auswirkt, ist bisher unklar.
Fotogalerie: Naturnahe Wälder in Mittelgebirgslagen sind die wichtigsten Rückzugsgebiete der Europäischen Wildkatze (Foto: Malte Götz)
Nur in bewaldeten Mittelgebirgslagen hat die Wildkatze überlebt. Ihre wichtigsten Lebensräume sind heute durch Siedlungen, Landwirtschaft und Infrastruktur stark isoliert voneinander (Foto: Malte Götz)
Wie sich eine zunehmende Nutzung sensibler Waldlebensräume zum Beispiel durch Windkraftanlagen auf die Wildkatze auswirkt, ist bisher unklar (Foto: A. Decher-Wahby)
Fragestellungen
Unser Forschungsprojekt führt zu diesen Fragen Telemetriestudien an frei lebenden Wildkatzen durch. Auf Grundlage der Ergebnisse werden Empfehlungen für einen Umgang mit Waldlebensräumen der Wildkatze abgeleitet, die den Schutz der Wildkatze sicherstellen.
• Welche Faktoren bestimmen die Lebensraumnutzung der Wildkatze? Und welche Rolle spielen dabei menschliche Einflüsse und das Habitatangebot?
• Führen Störungen im Wald zum Verlust von wichtigen Lebensraumfunktionen – wie der Bereitstellung von Ruhe- und Reproduktionsstätten?
• Lassen sich die Auswirkungen möglicher Störungen durch den Menschen auf das Verhalten und die Physiologie von Wildkatzen überhaupt erkennen und erfassen?
Die Ergebnisse aus unserem Forschungsprojekt werden uns zeigen, welche Bedürfnisse die Wildkatze hat. Darauf aufbauend müssen wir die Nutzung von Wäldern zukünftig so gestalten, dass sie weiter Lebensraum auch für die scheue Wildkatze sind.
Im Mittelpunkt des Forschungsprojekts steht die Frage, wie Wildkatzen ihren Lebensraum nutzen, wenn dieser durch menschliche Aktivitäten gestört wird. Darüber hinaus soll herausgefunden werden, welche Strukturen eines Lebensraumes – wie z. B. Windwurfflächen, Altholzinseln o. Ä. – von der Wildkatze bevorzugt aufgesucht werden. Dafür wurden frei lebende Wildkatzen mit einem Sender ausgestattet, der ihre Position verrät. Partner bei dieser Studie sind neben weiteren Biostatistikern das Institut für Tierökologie und Naturbildung (O. Simon, Dr. M. Dietz), das Büro Dokumentation-Forschung-Gutachten (M. Trinzen), ÖKO-LOG Freilandforschung (Dr. M. Hermann) und die Bygul Wildtier-Akademie (G. Neumann).
Drei Untersuchungsregionen - einheitliche Methoden
Um eine ausreichende Menge an Daten zu gewinnen, erfolgt die Besenderung der Wildkatzen, die Telemetrie, in insgesamt drei vergleichbaren Untersuchungsgebieten. Sie befinden sich alle in Rheinland-Pfalz, einem Schwerpunkt der Wildkatzenverbreitung in Deutschland. Die überwiegend bewaldeten Untersuchungsgebiete im Hunsrück (Haardtwald und Soonwald) und in der Eifel weisen Areale auf, die vom Menschen weitgehend ungestört sind, aber auch Areale mit Störquellen.
Lage der drei Untersuchungsregionen in Rheinland-Pfalz in der Eifel und im Hunsrück (Foto: Malte Götz)
Die Datengrundlage in den drei Untersuchungsregionen resultiert aus den Telemetriedaten, Daten zu menschlichen Aktivitäten (u. a. Forstwirtschaft, Tourismus, Windenergieanlagen) und Informationen zu den Habitatstrukturen. Die Datenauswertung erfolgt im Rahmen einer zentralen Gesamtanalyse über alle Gebiete hinweg.
Erstmals wird im Rahmen der Studie auch versucht, mögliche Stressbelastungen von Wildkatzen zu erfassen, die durch menschliche Einflüsse hervorgerufen sein könnten. Hierfür erfolgt eine Erhebung des Stresshormon-Levels bei Wildkatzen in unterschiedlich stark belasteten Gebieten. Dauerhafter Stress kann bei Wildtieren zu physiologischen Beeinträchtigungen, wie niedrigere Reproduktionsleistungen, führen.
Mögliche Störreize und wichtige Habitatstrukturen
Die Erhebung menschlicher Einflüsse in den Untersuchungsgebieten beschränkt sich auf solche, die räumlich eindeutig zugeordnet werden können. Dies sind Bauwerke und Quellen von Lärm und Beunruhigung sowie unmittelbare Verluste und Zerstörungen typischer Lebensraumstrukturen. Sie werden im Geoinformationssystem (GIS) erfasst, um sie mit Daten der Raumnutzung von sendermarkierten Wildkatzen zu analysieren.
In der Gesamtanalyse über alle drei Untersuchungsgebiete werden statische Einflüsse des Menschen berücksichtigt. Das sind z. B. Verkehrswege, Siedlungsstrukturen und Windkraftanlagen in der Betriebsphase. In Analysen auf Ebene einzelner Untersuchungsgebiete fließen temporäre Ereignisse ein. Das können z. B. Treibjagden oder Bautätigkeiten sein.
Neben möglichen Beeinträchtigungen für Wildkatzen werden auch besonders wertvolle Lebensraumstrukturen erhoben. So weisen durch Stürme, Trockenheit oder Borkenkäfer entstandene Waldlücken ein hohes Versteck- und Nahrungsangebot für Wildkatzen und zudem eine hohe Dynamik auf. Für die drei Untersuchungsgebiete wurde eine flächendeckende Erfassung von Waldlücken auf Grundlage aktueller Satellitenbilder beauftragt (RLP AgroSience).
Hightech-Halsbänder
Zur Ermittlung der Raumnutzung von Wildkatzen wurden in jedem der drei Gebiete zwölf Katzen über einen Jahresverlauf hinweg telemetrisch beobachtet. Es wurden ebenso viele weibliche wie männliche Wildkatzen und ausschließlich voll ausgewachsene Individuen besendert. Ziel war es, die im Gebiet sesshaften Wildkatzen zu untersuchen. Die GPS-Halsbandsender speicherten im Abstand von fünf Stunden, zeitweise auch zweieinhalb Stunden, die Aufenthaltsorte der Wildkatzen. Hochsensible Beschleunigungssensoren in den Halsbändern, die auch in Mobiltelefonen und Tablets verbaut werden, speicherten zudem alle zwei Minuten Daten zur Bewegung der jeweiligen Wildkatze. Mithilfe dieser Beschleunigungswerte (ACC-Daten) können Phasen unterschieden werden, in denen die Wildkatzen aktiv waren oder geruht haben. In Kombination mit GPS-Lokalisationen geben sie Auskunft über Ruheplätze und Verstecke während der Jungenaufzucht oder über beliebte Jagdhabitate.
Insgesamt 36 Wildkatzen lieferten so eine große Menge Daten, die nun für umfangreiche Analysen zur Lebensraumnutzung zur Verfügung stehen. Mögliche Auswirkungen menschlicher Einflüsse auf die Funktion von Ruhe-, Nahrungs- und Reproduktionshabitate der Wildkatze können so bewertet werden.
Fotogalerie: Narkotisierte Wildkatze mit einem GPS-Halsbandsender (Foto: Malte Götz)
Der Halsbandsender verfügt über eine Sollbruchstelle aus Leder, die sich nach Ende der Batterielaufzeit öffnet (Foto: Malte Götz)
Gestresste Wildkatzen?
Für eine Stresshormon-Analyse, die in Kooperation mit dem Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin erfolgt, werden Haarproben benötigt. In den ständig nachwachsenden Haaren lagern sich Metaboliten des Stresshormons Cortisol ab, deren Konzentration Auskunft über anhaltende Stressbelastungen in der Vergangenheit liefern kann. Getestet wurde auch, ob die für diese Analyse notwendige Probenmenge mithilfe der sogenannten Lockstock-Methode gewonnen werden kann.
Wildkatzen reiben sich gern an einem mit Baldrian-Tinktur besprühten Kantholz und verlieren dabei einige Haare. Diese schonend gewonnenen Gewebeproben eignen sich bereits in sehr geringen Mengen für genetische Analysen, in größeren Mengen aber eben auch für die Erfassung des Stresshormon-Levels. Auch im Rahmen der Besenderung gewonnene Haarproben fließen in die Stresshormonanalyse ein. Ziel ist es, ausreichend Proben aus belasteten und weitestgehend unbelasteten Gebieten der Untersuchungsregionen grundlegend miteinander zu vergleichen. Für die sendermarkierten Wildkatzen wird versucht, die Entwicklung des Stresshormon-Levels in aufeinanderfolgenden Jahren zu erfassen. Hinweise auf Zusammenhänge zwischen Stresshormon-Level und erhobenen Störreizen sollen so gewonnen werden.
Haare, die Wildkatzen beim Reiben am Lockstock hinterlassen, werden abgesammelt und für Genetik- und Stresshormon-Analysen verwendet (Foto: Malte Götz)
UNSERE PARTNER UND FÖRDERER
Reduktion von Verkehrsopfern bei Wildkatzen
Kleiner Tunnel, große Wirkung
Die größte Gefahr für Wildkatzen geht heute vom Straßenverkehr aus. Automatische Kameras dokumentieren im Ostharz, wie gut eine für Wildkatzen gebaute Querungshilfe an einer Bundesstraße angenommen wird – nicht nur von Wildkatzen. Mit dieser Langzeitbeobachtung setzt sich die Deutsche Wildtier Stiftung dafür ein, besonders die Straßenabschnitte zu entschärfen, an denen viele Wildkatzen verunfallen.
Der Straßenverkehr ist heute die größte Gefahr für die Wildkatze. Innerhalb ihrer großen Streifgebiete und auf ihren weiten Wanderungen müssen die Tiere Autobahnen, Bundes- und Landstraßen überqueren, auf denen es häufig zu Kollisionen mit Fahrzeugen kommt. Sie enden in der Regel tödlich für die Tiere. Straßenabschnitte, an denen sich Verkehrsopfer häufen, gilt es genau zu verorten, um Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Wie erfolgreich bauliche Maßnahmen zur Reduzierung des Unfallrisikos sein können, zeigt eine für Wildkatzen errichtete Querungshilfe im Ostharz.
Besonders viele Wildkatzen verunfallten zwischen 1990 und 2009 auf einem von Wald umgebenen Abschnitt der Bundesstraße 242 im Ostharz. Um diesen Unfallschwerpunkt zu entschärfen, wurde 2011 im Auftrag der Landesstraßenbaubehörde Sachsen-Anhalt eine Querungshilfe in die Straße integriert. Die aus zwei Tunnelbauwerken im Abstand von 260 Metern und einem für Wildkatzen unüberwindbaren Zaun bestehende Schutzmaßnahme wurde genau dort installiert, wo die überfahrenen Wildkatzen aufgefunden wurden. Bisher haben sich die 1,6 Meter hohen und 1,3 Meter breiten Tunnel als sehr effektiv erwiesen: Auf dem gezäunten Straßenabschnitt fielen seit dem Bau der Anlage keine weiteren Wildkatzen dem Verkehr zum Opfer. Automatische Kameras belegten bereits früh die Annahme der Maßnahme von Wildkatzen und weiteren Arten.
Einer der beiden baugleichen Tunnel unterhalb der Bundesstraße (Foto: Malte Götz)
Die Deutsche Wildtier Stiftung dokumentiert, wie die beiden Tunnel heute von Wildkatzen angenommen werden und welche weiteren Arten von der Maßnahme profitieren. Hierzu wurde an beiden Röhren jeweils eine Kamera installiert, die alle Querungen von Tieren erfasst.
Zwischen März 2018 und Januar 2021 wurden innerhalb verschiedener Zeiträume, in denen die Kameras aktiv waren, insgesamt 631 Querungen von Wildtieren erfasst. Tatsächlich am häufigsten wurden mit 203 Querungen Wildkatzen in den „Wildkatzen-Tunneln“ fotografiert. Dabei konnten im Laufe der Untersuchung mehrere männliche und weibliche Individuen unterschieden werden. Auch Luchse wählten den sicheren Weg unter der Straße hindurch, allerdings eher selten. Füchse und Waschbären nutzten die Querungshilfen ebenfalls sehr häufig, Baummarder und Dachse regelmäßig. Steinmarder wurden lediglich vier Mal fotografiert. Dass auch Hermeline die Durchlässe annehmen wird aufgrund von Spuren angenommen. Aufgrund ihrer hohen Geschwindigkeit und relativ kleinen Körpergröße sorgen sie vermutlich für viele Kameraauslösungen, auf denen kein Verursacher zu erkennen ist.
Auswertung der Wildkamera-Überwachung an den beiden Tunnelbauwerken Ost und West. Bisher wurden 631 Querungen dokumentiert – Mäuse und Vögel wurden nicht berücksichtigt (Grafik: Malte Götz)
Eine weibliche Wildkatze hat eines der Tunnelbauwerke auch genutzt, um das Versteck für ihr Junges zu wechseln. Wie die Kameraaufnahmen zeigen, trägt sie den etwa sechs Wochen alten Welpen auf die gegenüberliegende Straßenseite.
Sehr erfreulich ist, dass auch Luchse die Bauwerke nutzen. Auch diese Katzenart ist besonders stark vom Straßenverkehr bedroht. Zum Teil lassen sich einzelne Luchse anhand ihres Fleckenmusters wiedererkennen oder es lässt sich das Geschlecht bestimmen. Die bisherigen Aufnahmen lassen darauf schließen, dass bisher mindestens drei unterschiedliche Luchse die Tunnel an der Bundesstraße genutzt haben.
Fotogalerie: Die Aufnahmen automatischer Wildkameras zeigen, welche Tierarten die beiden Tunnel zum Wechsel der Straßenseite nutzen.
Nicht immer ist es möglich, solche Tunnelbauwerke nachträglich in bestehende Straßenkörper einzusetzen. Ob und was für ein Bauwerk als Querungshilfe infrage kommt bzw. welche Lösungen an Unfallschwerpunkten verfolgt werden sollten, um die Anzahl der Kollisionen zu reduzieren, wird in Zusammenarbeit mit den Straßenbaubehörden erörtert.
Mehr zum Thema Gefährung von Wildkatzen durch Staßen finden Sie hier.
Europäisches Wildkatzen-Symposium 2019
Der Festsaal von Schloss Engers in Neuwied in Rheinland-Pfalz diente am 26. und 27. September 2019 als beeindruckende Kulisse für den Austausch unter europäischen Wildkatzenexperten. Über hundert Wissenschaftler und Praktiker im Wildkatzenschutz aus neun Ländern folgten der Einladung nach Rheinland-Pfalz.
Schwerpunkte waren der aktuelle Status der Wildkatze in Europa und neue Erkenntnisse zur Ökologie und Lebensraumnutzung, zu Gefährdungen insbesondere durch Hybridisierung sowie die Anforderungen an das Monitoring und Schutzmaßnahmen. Zu Beginn erklärte Dr. Urs Breitenmoser von der Weltnaturschutzunion IUCN eindrucksvoll, wie wichtig möglichst genaue Kenntnisse über die ökologischen Ansprüche der Wildkatze und über ihre Verbreitung sind. Nur so könne man ihre Gefährdung präzise einschätzen und Schutzmaßnahmen umsetzen. Dr. Markus Dietz vom Institut für Tierökologie und Naturbildung ging in seinem Vortrag auf den Wald als wichtigen Lebensraum für die Wildkatze ein und machte eindringlich auf den nachlässigen Umgang der Welt mit ihren Wäldern aufmerksam. Viele aufgrund von Trockenheit und Käferbefall entstandene Lücken in unseren Nadelforsten sollten sich seiner Meinung nach jetzt unbedingt zu natürlichen Wäldern mit standortangepassten Gehölzen entwickeln dürfen.
Vortrag Wildkatzensymposium 2019 (Foto: Harry Neumann)
Die Deutsche Wildtier Stiftung stellte erste Ergebnisse ihrer dreijährigen Studie zur Wildkatze vor: In Rheinland-Pfalz wurden in drei Projektregionen insgesamt 36 Tiere über Monate hinweg telemetriert, um ihre Raumnutzung im Zusammenhang mit menschlichen Einflussfaktoren zu studieren. Die mit einem Sender versehenen Wildkatzen zeigten eine Vorliebe für abwechslungs- und versteckreiche Lebensräume und mieden menschliche Siedlungsstrukturen und Straßen. Deutlich wurde die große Bedeutung von natürlichen Waldlücken, wie etwa sturmbedingten Windwürfen, als Ruheraum, als Ort für die Jungenaufzucht und als Jagdgebiet. Auflichtungen mit potenziellen Störquellen, wie die Areale von im Wald errichteten Windkraftanlagen, wurden dagegen nicht bevorzugt – als Ruhe- und Reproduktionshabitat sogar gemieden. Sämtliche der über 59 erfassten Jungtierverstecke befanden sich trotz geeigneter Habitatstrukturen mindestens 200 Meter von Windkraftanlagen entfernt.
Die Teilnehmer des Europäischen Wildkatzensympsiums der Deutschen Wildtier Stiftung (Foto: Harry Neumann)
Die Ergebnisse der Studie sowie alle Beiträge zu weiteren Forschungsarbeiten aus Deutschland, der Schweiz und Österreich, Schottland, Frankreich und Italien werden im Tagungsband „Auf gutem Weg? Zur Situation der Wildkatze in Deutschland und Europa“ zusammengestellt.
Im Anschluss an das Symposium traf sich auf Einladung der Deutschen Wildtier Stiftung das Euro-Wildcat-Netzwerk, um über die zukünftige Zusammenarbeit in der Wildkatzenforschung in Europa zu beraten.